Andrea Schurian - Part 19

Andrea Schurian

Kunst Kultur Kommentare Kolumnen


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25
Apr

Maria Lassnig: Sich selbst erspüren und die Welt mitfühlen

„Ich muss mir erst einen Platz suchen, wie ein Hund”: etwas verloren blickt sich Maria Lassnig in ihrem neuen, schönen, eleganten Loft um. Riesige Atelier-Fenster zu beiden Seiten, aber die Jalousien sind heruntergelassen, damit die Nachbarn nicht hereinschauen können. Sie vermisst den Ausblick aus ihrem alten Atelier direkt auf den Schönbrunner Schlossgarten; und sie bedauert, dass sie nicht mehr einfach die Straße überqueren und in einem der schönsten Parks spazieren gehen kann; ja, und die Schreibmaschine, die noch nicht übersiedelt ist, die fehlt ihr auch. Und der gewohnte Malplatz natürlich am meisten. Aber, sie weiß es, alle Vernunftgründe sprechen für die Übersiedlung: das alte Atelier war zu klein geworden, Künstlerin und Kunst sind im Laufe der letzten 25 Jahre buchstäblich darüber hinausgewachsen. Außerdem: vierter Stock ohne Lift. Und im Sommer glühend heiß so direkt unterm Dach. Also hat sie die neuen Räumlichkeiten im 14. Bezirk erworben und von Architekt Hermann Eisenböck umbauen lassen, 270m2 pro Etage.

„Was, in deinem Alter tust du dir das noch an?” Diese Frage macht sie richtig wütend: „Das Alter! In Österreich wird man als Frau, als Künstlerin damit abgestempelt. Ich habe die Jahre nie gezählt. Ich war nie jung. Und bin jetzt nicht alt.” Nun also sind alle ihre Bilder bereits an der neuen Adresse, im Lager gleich unter ihrem Wohnatelier, ebenso neu und ebenso schön. Fast ein Museum. Und Maria Lassnig beobachtet das Licht, wie es durch ihr Loft wandert, damit sie irgendwann, bald, weiß, wann und wo sie künftig malen wird.

Maria Lassnig ist eine der erfolgreichsten Künstlerinnen weltweit, mit Ausstellungen in den Kunstzentren Europas und den USA, Biennale in Venedig, zweimal documenta in Kassel, Düsseldorf, Nürnberg, Köln, Berlin,Luzern, Paris, New York, Den Haag, Frankfurt , Zürich, München und Rom, überhäuft mit nationalen und internationalen Preisen. Österreich ehrte sie (übrigens als erste bildende Künstlerin) 1988 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und zehn Jahre später mit dem Oskar Kokoschka-Preis. 2002 wurde sie in Zürich mit dem höchstdotierten europäischen Kunstpreis, dem Roswitha Haftmann-Preis (Preisgeld: 81.600 €) und von der Stadt Siegen mit dem Rubenspreis (5.200€) ausgezeichnet. Die Stadt Frankfurt verlieh der großen Künstlerin 2004 den mit mit 50.000 € dotierten Beckmann-Preis, und so weiter und so fort, kleinere Würdigungen sind in dieser Aufzählung nicht enthalten. Natürlich waren die Preise stets verknüpft mit Ausstellungen und Dankesreden und mit Auftritten und Abendessen im Kreise von Bürgermeistern und Honoratioren; viel Öffentlichkeit für eine zurückgezogene, bescheidene und äußerst introvertierte Künstlerin, die dem gesellschaftlichen Geklingel wenig Wert beimisst: „Ich weiß um die Flüchtigkeit von Berühmtheit und Prominenz.”

Lange musste sie auf künstlerische Anerkennung warten; vermutlich, weil sie keine angepasste Netzwerkerin ist, sondern manchmal geradezu mühsam ehrlich und kompliziert. Weil sie keine faulen Kompromisse eingeht und Anbiederei an die Mächtigen des Kunstmarktes strikt ablehnt. Die Kunst des Schmeichelns beherrscht sie nicht. Folglich: Kein Senkrechtstart, sondern ein schwieriges, entbehrungsreiches Künstlerdasein. Sowieso haben es Frauen noch immer schwerer als Männer, ganz im allgemeinen, und in der Kunstszene im besonderen. „Ich glaube, jede nachdenkliche Frau ist Feministin”, sagt sie und streicht eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Man hat einer Frau nie soviel geglaubt wie einem Mann, sondern gesagt, nach der Tradition wird die sowieso heiraten. Aber Kinder und Malerei, das wäre - für mich jedenfalls - unmöglich gewesen. Aber es tut mir um jeden Kuss leid, den ich nicht gegeben habe. Deshalb bin ich manchmal zu Tränen gerührt, wenn mich ein Kind streichelt. Oder eine Katze mich umstreicht.” In ihren „drastischen Bildern” erzählt sie Ende der 1990er Jahre von ihren Illusionen von den versäumten Heiraten, der versäumten Mutterschaft.

Geboren wurde Maria Lassnig am 8. September 1919 in Kappel in Kärnten als lediges Kind (was sie in den 1970er Jahren in ihrem Zeichentrickfilm „Palmestry” verarbeiten wird: „Ich hatte keinen Vater. Eher hatte ich drei. Mein wirklicher Vater verließ meine Mutter bei meiner Geburt”).1926 zieht sie mit der Mutter nach Klagenfurt, die ihre wichtigste Bezugsperson bleibt: „Ihr Tod 1964 war das schrecklichste Erlebnis in meinem Leben. Wie sehr sie mir gefehlt hat, habe ich erst gemerkt, nachdem sie gestorben ist.” Seelische und künstlerische Erschütterung, in berührenden, schmerzvollen Bildern verarbeitete Lasssnig diesen Verlust: Da lebte die junge Malerin schon in Paris, weil ihr die Kunstwelt in Österreich längst zu eng(stirnig) geworden war.

Dass sie einmal Österreichs bedeutendste Künstlerin werden sollte, deren Bilder bei Auktionen Höchstpreise erzielen (wie etwa ihre “Woman Power”, die im Jahr 2001 um sensationelle 163.500 € versteigert wurde) war ihr beileibe nicht von klein auf vorgegeben. Zwar kopierte sie bereits im Alter von sechs Jahren alte Meister, „wir hatten im Geschichtsbuch einen Dürer, den habe ich unter der Bank abgezeichnet. Oder ich habe meine Freundinnen porträtiert”, doch dann vergaßen Mutter und Tochter das zeichnerische Talent. „Meine Mutter wollte, dass ich heirate - Sicherheit durch den Ehemann. Und ich, ich bin damals halt einfach dahingetrottet, wie ein junges Kalb.” Also unterrichtete Maria Lassnig 1940 ein Jahr an einer Volksschule im Metnitztal, ehe sie 1941 mit einer Mappe nach Wien reiste und an der Akademie der bildenden Künste in die Meisterklasse von Wilhelm Dachauer aufgenommen wurde. Doch schon zwei Jahre später, 1943, musste sie die Klasse auch schon wieder verlassen. Dachauer forcierte einen heimattümelnden Realismus, Lassnigs Bilder galten in diesem Umfeld als „entartet”. Ihr Studium schloss sie bei Ferdinand Andri und Herbert Boeckl ab. Die Bilder, die sie damals malte - die geliebte Mutter und erste Selbstporträts - lassen übrigens noch den Einfluss Boeckls erkennen, vor allem aber bereits ihr künstlerisches Lebensprinzip: die Suche nach einer Realität, die, wie sie sagt, „mehr in meinem Besitz ist als die Außenwelt.” In einem höchst einsamen, aber nie abbrechenden Dialog mit sich selbst ertastet Maria Lassnig ihre Identität, gibt ihren Körpergefühlen, Körperempfindungen, Körperwahrnehmungen, den Körper-Erfahrungen äußere Form. Sie trete, sagt sie, gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne Absicht, ohne Planung, „doch habe ich einen Ansatzpunkt, der aus der Erkenntnis entsteht, dass dass einzig mir wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen”.

Körperhaut, nicht von außen gesehen, sondern von innen gespürt, Streckempfindungen, Druckempfindungen im Arm, auf den sie sich beim Arbeiten stützt, völlige Leere, schwierig darstellbare Dinge. In ihrem Tagebuch notierte sie 1970 dazu: „Ich fühle die druckstellen des gesäßes auf dem diwan, den bauch, weil er gefüllt ist wie ein sack, der kopf ist eingesunken in den pappkarton der schulterblätter, die gehirnschale ist nach hinten offen, im gesicht spüre ich nur die nasenöffnungen groß wie die eines schweines und rundherum die haut brennen, die wird rot gemalt.”* Wichtig dabei ist, dass man keine Körperschmerzen haben darf beim Malen: „Kafka hat gesagt, Kunst kommt von Schmerzen. Das stimmt nicht, zumindest nicht bei mir.”

Bereits in ihren „statischen Meditationen” hatte sie äußere Einflüsse überwunden, sehr direkt verwandelte sie in ihren „Spannungsfigurationen” und Strichbildern Anfang der1960er Jahre erstmals Körperempfindungen Malerei; einzelne Farbpunkte und Linien entsprechen körperlichen Druckstellen und Gefühlen.

Später wird sie von dieser Innenarchitektur Brücken zur Außenwelt schlagen, wird die körperlichen Empfindungen mit ihren Erfahrungen in und mit der Welt in Beziehung setzen. „Drastische Bilder” nennt sie diesen Themenkomplex, in dem sie die großen philosophischen Themen wie Tod, Liebe, Vergänglichkeit, aber auch Zerstörung der Umwelt, Krieg, Vernichtung reflektiert, mitfühlt, im eigenen Leib spürt: „Ich fange immer mit Körpererfahrung an. Aber dann kommen Weltprobleme hinein, die mich gerade beschäftigen. Existentielle Fragen: das Krankenhaus etwa. Die Natur, die von den Menschen malträtiert wird. Oder der Krieg. Für die Kriegsbilder brauche ich keine Fotos oder direkten Vorlagen. Die Bilder, die ich mache, sind die Summe meiner schrecklichen Zustände, wenn ich an den Krieg denke. Es sind jedenfalls keine Ilustrationen von Krieg, das kann ja nur jemand machen, der mittendrin war in den Schrecklichkeiten.” Wenn sie im Fernsehen Kriegsbilder sieht, sagt sie, fange sie ganz automatisch zu weinen an.

Zwischen 1945 und 1951 lebt und arbeitet Lassnig in Kärnten, mit einem Stipendium reist sie 1951 Paris, lernt dort Paul Celan und André Breton kennen - und die informelle Malerei, nicht als gestische Aktion, sondern als konzentriertes Zurücknehmen, ein Selbstbesinnen. Nach einem Wien-Intermezzo kehrt Lassnig 1961 in die Kunstmetropole Paris zurück. „Ich hatte wohl Kontakt zur Künstlergruppe nächst St. Stephan, Monsignore Mauer hat mich auch öfter eingeladen. Aber richtiges Gruppengefühl hatten wohl nur die jungen Männer”, erinnert sie sich an die gläserne Decke, die für Künstlerinnen damals ziemlich tief hing. 1968 wird ihr schließlich auch Paris zu eng, mit dem Schiff reist Lassnig nach Amerika. Die junge Österreicherin wohnt zuerst in Queens, dann in den Slums von Mahattan und schließlich im Künstlerviertel SoHo.

Am Westbroadway, Ecke Springstreet wird ein ehdem schwarzer Fabriksraum zu ihrem weißen Wohnatelier; die Haustiere der Loftgenossin inspirieren sie zu ihren Tierbildern, die Grenzen zwischen äußerer und innerer Welt verwischen. Tagsüber malt sie, abends sitzt sie am Tricktisch: „Das ist damals in der Luft gelegen. Jeder hat Filme gemacht. Das hat mich sehr fasziniert. Es gab ja richtige Eifersüchteleien zwischen Malern und Filmemachern. Das verstehe ich gut. Ich bin ja auch auf die Fotografie eifersüchtig. Sie braucht weniger Plage und hat größere Wirkung.”

Maria Lassnig engagiert sich, gemeinsam mit Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, in der „Artists Women’s Lib”, wo sie vor allem wegen ihrer feministisch-ironischenZeichentrickfilme bekannt ist: „Sie war die erste, die den Trickfilm in die Kunst geholt hat”, erinnert sich Bourgois noch viele Jahre später bestens an ihre Freundin aus Österreich.

1980 kehrt Maria Lassnig nach Österreich zurück, bezieht ein Atelier im 13. Bezirk, sommers arbeitet sie in einer ehemaligen Schule auf einer Kärntner Alm; sich selbst zu erforschen, um die Welt zu verstehen, ist ihr nur in äußerster Konzentration und Ruhe möglich. Dort, in der Einsamkeit, beginnt sie auch, dreidimensional zu arbeiten, „denn am Land hatte ich das Werkzeug. Ein Gurktaler Sammler hat es mir gegeben. Mich hat einfach interessiert, was ich zusammenbringe. Denn eigentlich hat ja ein Maler nicht die richtigen Hände dazu.”

Der eigentliche Grund für ihre Rückkehr ist aber ihre Berufung an die Universität für angewandte Kunst; ein künstlerischer und persönlicher Triumph! Mit 61 Jahren wird Maria Lassnig die erste Professorin an einer Kunstuniversität im deutschsprachigen Raum. Es folgen Biennale, Documenta, Ausstellungen, Preise, Weltruhm, Details siehe oben.

Allerdings: Maria Lassnig ist keine, die er Erfolg milde und nachsichtig gemacht hätte, im Gegenteil. Ihre Empörung ist frisch, die Wut unverbraucht, die Enttäuschung jung: „Die Ausstellung beim Essl hat mich fertig gemacht. Ich habe nicht mitgewirkt beim Aussuchen. Die tun ja so, als ob ich schon tot wäre. Aber mit einer lebenden Künstlerin setzt man sich doch in Verbindung”, sagt sie grantig. Und dann, dann lacht sie ihr mädchenhaftes Lachen, scheu, fast verlegen. Vielleicht ist die Stimmung ja auch eine Folge der jüngsten Veränderungen. Das Malen geht ihr ab, das Schreiben auch. Also muss die Schreibmaschine demnächst übersiedelt und ein optimaler Platz fürs Arbeiten gefunden werden. Schraffiertes Licht fällt durch die geschlossenen Jalousien ins neue, schöne, große Loft. Ein bisschen fremd noch alles. Wie schrieb sie schon 1943 in ihr Tagebuch: „Alles gut und schön - und trotzdem sehr beschissen.”

*: MARIA LASSNIG: DIE FEDER IST DIE SCHWESTER DES PINSELS. Tagebücher 1943 - 1997, Hsg. Hans Ulrich Obrist, 198 S.,erschienen bei Dumont.


03
Apr

Ingeborg Strobl: Das Tier, die Umwelt und wir

„Ende der Utopie”. Sagt die Eidechse und verschwindet in der Hausmauer. Der Hund schnüffelt an der Hand, die ihn füttert. Die Schnecke lugt aus dem Häuschen und genießt „das milde Gleiten des Begehrens”. Und in der Wiese schwimmen Kuhfladen als „neue Inseln im grünen Strom”.

Szenen aus dem „Photo Roman” der österreichischen Künstlerin Ingeborg Strobl, erschienen im Verlag „Schlebrügge.Editor”: Kompositionen aus Wort und Bild, überraschend, verblüffend, irritierend, berührend. Mit poetischen Texten, Gedankenfetzen, lapidaren Assoziationen und (teils kunstvoll inszenierten) Fotos von Haus- und Nutztieren, Mäusen, Käfern, Ungeziefern, Spinnen, von Misthäufen, landwirtschaftlichen Gerätschaften, Blumen, Blättern, Bodenfurchen, Feldern und Wäldern dokumentiert Strobl ihre Abenteuerreise ins Innerste des österreichischen Landlebens. Alles irgendwie bekannt und doch ganz anders. Auch das Hässliche ist in diesem Buch schön - gut so!, meint die Künstlerin. Das entspricht ihrer Wahrnehmung. Denn wirklich hässlich ist für sie nur ungerechtfertigte Gewalt: „Da bin ich extrem empfindlich. Krieg macht mich wirklich total fertig. Aggression vertrage ich ganz schlecht. Daher”, fügt sie hinzu, „ist es für mich auch so wichtig, auf welche Weise Nutztiere getötet werden, so dass es kein gewalttätiger Akt ist.” Schweineschlachten beim Bauern: das fand sie schon als kleines Mädchen höchst interessant. Und wenn sie mit ihren gleichaltrigen Cousins zum Fischen ging, löste sie die Fische selbst vom Angelhaken und tötete den Fang, schnell und möglichst schmerzlos. Und mit Respekt. „Mein Onkel war Jäger. Für mich ist dasTöten von Tieren normal: dass man Wild ausnimmt. Den Hendln den Kopf abschlägt. Ich habe keine sentimentale Beziehung zu den Tieren. Aber auch keine brutale.” Als sie heuer im Sommer in ihrem Haus am Land unter einer Mäuseplage litt, stellte sie Fallen auf und legte die toten Tiere dann ins Freie: Futter für Vögel und Katzen. Sinnvolles Sterben. Kreislauf der Natur.

Ingeborg Strobl, geboren 1949 als Lehrertochter in Schladming, zwei Geschwister, ohne Kunst aber mit viel Natur aufgewachsen. Lieblingsort ihrer Kindheit war das Haus ihrer Tante in einem kleinen südburgenländischen Dorf an der ungarischen Grenze, „wenn der Hund über diese Grenze gelaufen ist, haben ihn die Minen zerrissen”. Hier streift sie mit den Buben durch die Gegend, veranstaltet Mäusebegräbnisse, schmückt deren Gräber mit Blumen und Ästchen, sammelt ganze Schachteln voller Schneckenhäuser und ist total befriedigt, wenn die Schachteln anderntags wieder leer sind: „Ich hatte schon damals diesen Ordnungstrieb, an den ich aber gar nicht glaube, weil es dazu gehört, dass sich die Ordnung wieder selbst auflöst.” Das Tier, die Umwelt und wir: dieses Dreiecksverhältnis beschäftigt Ingeborg Strobl, aber „ich bin in dem Sinn keine Tierkünstlerin. Im Zentrum meiner Überlegungen steht der Mensch. Hundescheiße auf der Straße finde ich nebenbei bemerkt auch nicht super. Mich interessiert: Wie veträgt sich die menschliche Rasse mit der Tier- und Pflanzenwelt? Es geht da um einen Clash der Kulturen.” Bäuerin wollte sie übrigens trotz ihres großen Interesses für das Leben auf dem Lande nie werden, weil „ich weiß, wie schwer die Arbeit ist. Ich habe da keinen verklärten Blick.”

Nein, verklärt betrachtet diese Frau in der Tat so gut wie nichts. Auch nicht das Frauenbild in der Gesellschaft, das schon gar nicht. Schockierend, gnadenlos, humorvoll, ironisch, messerscharf seziert Ingeborg Strobl die Kommunikation zwischen den Geschlechtern. „Frauen verhalten sich ja oft ziemlich seltsam. Sie spielen gern das Spiel der Männer mit. Manche Frauen sind wirklich so blöd, das es fast unerträglich ist”, sagt sie. Und fügt mit Nachdruck hinzu: „Männer dürften das nicht sagen, ich als Frau schon. Wenn Frauen kritisiert werden, dann dürfen sie nur von Frauen kritisiert werden.”

Eine Theorie, die auch „Die Damen” vehement vertraten: die Künstlerinnen-Gruppe hat Ingeborg Strobl gemeinsam mit den Kolleginnen ONA B, Evelyne Egerer und Birgit Jürgenssen 1987 gegründet. Auf ihren international beachteten Rund- und Randgängen zwischen Kunst und Jux belebten „Die Damen” die Sinne (anlässlich der Verleihung des Römerquelle-Fotopreises) - und verstörten den Kunstmarkt, dessen Gesetze sie mit Leichtigkeit und Selbstironie zerpflückten. Sie installierten in der Secession ein Postamt, um den Begriff „postmodern” als leere Phrase abzustempeln („ein Wort, nach dessen Gebrauch man sich eigentlich den Mund mit Seife auswaschen müsste”-ein „Damen”-Zitat); sie baten, hausfraulich adrett zugerechtgemacht, zur Housewarming Party in vier Fertigteilhäuser in der Shopping City und sammelten bei den Partygästen für Obdachlosenheime; sie gestalteten hinreißende Kalender und persiflierten sowohl Frauenbild als auch Werbe-Klischees, stets perfekt in Szene gesetzt vom Damen-Fotografen Wolfgang Woessner. „Toll war”, erinnert sich Strobl an ihre damenhafte Vergangenheit, „dass jede spezielle Fähigkeiten hatte, die eingebracht wurden. Ich zum Beispiel war immer in Opposition. Ich war quasi das Krokodil.” Eine Rolle, die ihr zunehmend anstrengend wurde. Nicht zuletzt, weil eigene Projekte zu kurz kamen, legte Ingeborg Strobl 1993 ihren Damen-Titel ab; der New Yorker Künstler Lawrence Wiener wurde an ihrer Statt vierte Dame. Ingeborg Strobl konnte sich wieder ihrem Solo-Programm widmen. Und wurde hinter ihrer Arbeit unsichtbar. Fotos gibt es keine mehr von ihr, “wichtig ist nicht, wie ich aussehe, sondern was ich mache.”

Ob das, was sie macht, Kunst ist oder nicht, ist der Absolventin der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und dem Royal College of Art in London übrigens herzlich egal. Hauptsache, sie kann das, was sie interessiert, umsetzen. Zweckfrei. Aber nicht ohne Absicht. „Als 68er Linke habe ich ja in meinem Hinterkopf immer noch die Idee, dasas man mit Haltung Dinge verändern kann.” Nachsatz: „Ich bin nicht kompromissbereit. Auch wenn es zu meinem Nutzen wäre.” Genau diese Haltung versucht sie jungen KollegInnen weiterzugeben: etwa an der Kunst-Uni Linz, wo sie einen Monat als Karrenzvertretung engagiert ist; da verordnet sie ihren 40 StudentInnen Kunst-Gespräche, „die sollen mit mir ein Semester lang über ihre ganz persönlichen Wünsche und Ziele reden. Das wichtigste ist ja für jeden, herauszufinden, was man selber möchte und nicht, was gerade am Kunstmarkt ‚angesagt’ ist.” Ein erprobtes Lehrkonzept: An der Wiener Universität für angewandte Kunst unterrichtete Strobl als Gastprofessorin zwei Jahre lang angehende Kunst-Erzieherinnen: „Der Musik- und Kunstunterricht an den Schulen sind ja die einzigen Gegenstände, die nicht wirtschaftlich orientiert sind; da geht es um kreative Freiräume. Ich habe versucht, meinen Studierenden beizubringen, wie großartig es ist, etwas „zweckfreies” zu machen. StudentInnen werden ja üblicherweise schnell auf den Kunstmarkt hin präpariert - Lehrer müssen sich aber auf keinem Kunstmarkt behaupten. Das gibt ihnen eine ungemeine künstlerische Freiheit.”

Angepasstheit an die Anfordernisse des Marktes kann man Ingeborg Strobl jedenfalls nicht unterstellen. Immer wieder öffentliche Ankäufe, das schon, doch abgesehen von Auszeichnungen, (Geld) Preisen und hin und wieder Einladungen zu „Kunst am Bau”-Wettbewerben sind ihre Verkaufserlöse eher mager. Geld ist für die schlanke Künstlerin mit den streichholzkurzen Haaren nicht wichtig, Konsumverweigerung eine Form von Freiheit, bescheidenes Leben keine Selbstkasteiung. Kleine Wohnung im 7. Bezirk in Wien, Klo am Gang, kein Auto, keine Werkstatt. „Ich brauche wenig für den Alltag - außer frischer Luft und Kino.” Im Kino kann man sie denn auch mehrmals pro Woche antreffen, bevorzugt im Filmmuseum, dessen Programmierung durch Alexander Horvath sie über die Maßen zu schätzen weiß. „Aber ich mag auch Kommerzfilme und da am liebsten asiatische Tschimbum-Streifen. Ich liebe alle Filme, die mich aus der Realität hinausführen, auch politisch unkorrekte Filme. Nur realistische Beziehungsdramen interessieren mich nicht.”

Das, was sie bei ihren gleichermaßen seltenen wie aufregenden Ausstellungen macht, würde man in der Musik als „sampeln” bezeichnen Objekte ihrer Sammelleidenschaft in immer wieder neue (Bedeutungs)Zusammenhänge stellen. Wenig verwunderlich, kultiviert sie auch hier ihre Sparsamkeit und achtet penibel darauf, dass die Ausstellungen nicht mit materiellen Dingen beschwert sind: „Ich glaube nicht an die Wichtigkeit des Materials”. Je unkomplizierter und leichter, umso besser. Für ihre Raum-Installation im Hauptraum der Wiener Secession (1992) borgte sie (Tier)Objekte aus dem naturhistorischen Museum aus, zur Ausstellung im Salzburger Kunstverein reiste sie 1999 mit einem Plastiksackerl, die Objekte und Fotos für ihre Installation im Kunsthaus Bregenz transportierte sie in einer Bananenschachtel. „Einige Gegenstände. Und Sonnenuntergang” nannte sie damals ihre Ausstellung lapidar.

Ingeborg Strobl thematisiert und persifliert Begriffe wie Wahrnehmung, Natur, Kreatur, MassenKonsum, Gesellschaft, Sehnsucht, Herz, Schmerz und, natürlich, Kunst. Bis auf Malerei ist ihr dazu fast jedes Mittel recht: zarte Aquarelle, Collagen, Installationen aus Objets trouvés und Spielzeugfigürchen, Ausschnittbögen, Photos, Musik, Texte und zunehmend auch Videos. Die zwei Kurzfilme „Fuxi springt”, Hauptdarsteller ist ein Hund, und einer über Ameisen hat sie soeben bei der Viennale eingereicht, zweiterer wurde fürs Festival genommen. Als nächstes geplant ist eine Video-Hommage an Vincent Gallo, den politisch unkorrekten Lieblings-Egomanen des amerikanischen Independant Films. Und auch ein konzeptueller Horrorfilm steht auf Strobls Arbeitsprogramm. Schauplatz für letzteren wird ein Dorf in einem steirischen Hochtal sein. Eine einschichtige Gegend, für die Strobl eine besondere Vorliebe hegt. Hier hat sie in den 80er Jahren ihre Sommer als Almhirtin verbracht, bis zu hundert Stück Jungvieh hat sie gehütet, ein extravanter Geldjob für eine autonome Künstlerin. Seit 15 Jahren hat sie ein Haus am Dorfrand gepachtet, für Sommermonate in der Abgeschiedenheite; im Winter kehrt sie in die Stadt zurück. Ihre Beziehung zu den Dörflern ist freundschaftlich, geprägt von gegenseitigem Respekt, wenngleich die Bauern, Förster und Holzarbeiter nicht so wirklich wissen, was „die Ingeborg” wohl so macht . In dieser Umgebung hat sie auch die Motive für ihren „Photo Roman” gefunden, der übrigens in einer Auflage von 1.500 Stück erschienen ist und den sie fast zur Gänze selbst finanziert hat: „Ich merke, dass mir das Buch das liebste Medium ist. Damit kann man zwar am wenigsten verdienen. Aber Geld ist für mich keine Motivation, etwas zu tun.”

Und schon arbeitet sie an einem „Photo Roman, Bd.2″ , ein, zwei Jahre wird es dauern, bis der Versuch über die Conditio humana in Buchform erscheinen wird. Fotografiert hat sie bereits in Kaliningrad, der russischen Enklave, umgeben von Litauen und Polen - und als Antipode dazu auch in Köln: „Ich komme jetzt direkt an den Menschen, ohne Umweg über die Tiere”, wobei, eigentlich, der Mensch auch nicht vorkommen wird, sondern seine Spuren im städtischen Raum

Die Bilder werden nicht zuordenbar sein, kein Osteuropa-Buch soll es werden, sondern eins, das von den Rändern menschlichen Lebens erzählt und davon, wie sich der Mensch durchs Leben plagt und wieviele Umwege er dabei geht. . „Mit dem neuen Buch habe ich die Schwierigkeit, dass ich niemanden denunzieren möchte. Ich möchte nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen und ihn als Trottel darstellen.” Denn, fügt sie hinzu: „Ich habe prinzipiell die gleiche Einstellung wie die Elfriede Jelinek, die ich ungeheuer faszinierend und großartig finde. Eine tolle Frau, ich stimme jede ihrer Aussagen zum Zustand der Gesellschaft zu. Aber ich bin nicht von Hass geleitet, sondern von Güte.”


25
Mai

Walter Pichler: Eine Welt für sich

 

Metall, Blei, Holz, Beton, Glas, Bronze, Zeichenstifte natürlich, aber auch Raum, Proportionen, Erinnerung, Licht, sogar Wasser und Zeit, ja, vor allem: Zeit . Das sind die Werk-Stoffe, aus denen Walter Pichler sein einzigartiges Universum aus Zeichnungen, Modellen, Skulpturen und Häusern schafft. Basis jeder Form, Ausgangspunkt aller Arbeit ist die Zeichnung: Gedanken zeichnen, Emotionen ausdrücken, Projekte entwerfen, psychische Zustände bewältigen, Plastiken entwickeln von allen Seiten, Ansicht und Draufsicht und Einsicht, otimale Behausungen für die Skulpturen planen in allen Einzelheiten, Erinnerungen transformieren: so wie andere schreiben, so zeichnet er. Wenn Walter Pichler bei einer Zeichnung nicht weiterkommt, dann geht er in die Werkstatt und arbeitet dort zwei, drei Wochen, arbeitet an Skulpturen und Häusermodellen, auch die meisten seiner Möbel hat er selbst gebaut, berühmt etwa das Pichler-Bett und die Pichler-Sessel, er schweißt, lötet, hämmert, bohrt, sägt, schleift, „denn wenn die Hände beschäftigt sind, ist der Kopf frei. Ich bin kein abstrakter Denker, keiner, der tagelang in sich hineinhorcht.. Deshalb arbeite ich gern manuell.” Und zwar jeden Tag, idealerweise tagsüber in der Werkstatt, abends am Zeichentisch. In Wien ebenso wie im Südburgenland. Ordnung der Gedanken. Ordnung der Orte. Walter Pichler ist ein ordnender und ein verortender Künstler; ein eleganter Stadtmensch, stets in feines Tuch gekleidet, passionierter Raucher, interessierter Ausstellungsbesucher, sporadischer Kinogeher. Seit vierzig Jahren hat er sein Atelier in der Wiener Innenstadt, über die Jahre ist es von der kleinen Dachkammer zum großzügigen und weitläufigen Lebens- und Arbeitsraum angewachsen und in Fußdistanz zu seinen Stammlokalen. Ein Stadtmensch also, und dennoch hat er 1971 ein altes Bauernhaus im Burgenland, in St. Martin an der Raab, gekauft, der besseren Arbeitsbedingungen wegen und weil er hier seine Idee von Skulptur-Architektur-Raum-Umwelt am besten verwirklichen konnte. Von der Haustür aus blickt man nach Slowenien, das Dreiländereck Österreich-Slowenien-Ungarn ist nah. Eine ärmliche Gegend, fünf Hektar Grund für 240.000 Schilling, ein Traumgrundstück im Sonderangebot, „das Haus haben sie mir dazu geschenkt. Wenn die Baggerstunde nicht so teuer gewesen wäre, hätten sie es längst weggeschoben”. Noch am selben Tag ist Pichler in das baufällige Haus eingezogen, bei Regen hat er mit dem Kübel das Wasser aufgefangen. Ein burgenländischer Landesrat bot an, die Dachreperatur zu subventionieren: Pichler lehnte dankend ab, „obwohl ich das Geld gut hätte brauchen können. Aber ich möchte unabhängig sein. Ich zahle alles aus meiner eigenen Tasche, ich will keine Unterstützung, keine Subventionen. Sonst bin ich nicht mehr Herr im eigenen Haus.” Oder, besser gesagt, in den eigenen Häusern: neben Wohnhaus, Werkstätte, Schuppen, einem kleinen Wohnhaus für die Familie seiner Tochter Anna stehen auf dem Anwesen die Häuser für die Skulpturen, auf den ersten Blick unterscheiden sie sich nicht allzu sehr von den bäuerlichen Wirtschaftsgebäuden in der Umgebung. Prompt meinten die Bauern: „Jetzt fängt der Pichler an zu wirtschaften, jetzt baut er schon einen Silo”. Zwei Häuser sollten es ursprünglich werden, mittlerweile sind es sieben, zwei im Bau, ein weiteres projektiert: schlichte, feierliche Behausungen meist aus Holz, manchmal Ziegeln, meist mit Lehmböden, Land-Art in bestem Sinn, Häuser-Kompositionen in genau ausgeklügelten Proportionen zueinander, mit exakt berechneten Licht-Einfällen, perfekten Dimmensionen, Pfeilern, Nischen, zu ebener Erd und im ersten Stock, turmhoch das eine, langgestreckt das andere, rund das nächste - ein überwältigendes architektonisches Gesamtkunstwerk, Heimstätten für den großen und den kleinen Bruder; für die Schädeldecken (eine wartet übrigens noch in der Werkstatt auf die Übersiedelung). Für den Aufpasser; für die bewegliche Figur; für den Betrachter (ein Porträt von Dieter Roth, dem Walter Pichler den Körper dazu gebaut hat); für das alte und das neue Bett; für die Tröge, für das Kreuz. Apropos Kreuz: ein Meisterstück was die Wahl der Materialien betrifft, bestes Beispiel für Pichlers metallische Fähigkeiten, jedes Gelenk, alles selber gemacht, gelötet, genietet, „ich habe dabei viel gelernt; drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Wenn du so etwas gemacht hast, dann sind andere Metallarbeiten kein Problem mehr.” Meist gibt es zuerst die Skulptur und dann erst werden die Behausungen drum herum geplant, gezeichnet, im Modell gebaut und schließlich realisiert. Andererseits: der Turm, der war zuerst da, und dann erst kamen die Skulpturen ein kühnes Unterfangen, diese hohen, schlanken, edlen Figuren in diesen engen Turm hineinzusiedeln. In der penibel aufgeräumten Werkstatt („ich mag das Werkzeug einfach nicht suchen, daher lege ich Wert auf möglichst grosse Ordnung”) warten die drei Stäbe noch auf ihr eigenes Haus; geplant ist es schon, aber zuerst möchte Walter Pichler noch zwei angefangene Projekte realisieren -die Passage etwa, die eine bestehende Scheune durchbohrt: erstmals kein Gebäude für Skulpturen, sondern skulpturale Architektur .

„Es stellt sich ja die Frage: wo beginnt die Plastik.Wo hört sie auf? Alles hier entspricht exakt meinen Vorstellungen. Ich wollte immer Häuser für meine Skulpturen machen, weil es nur konsequent ist, dass sie ihren idealen Platz, optimale Lichtverhältnisse haben. Außerdem muss man dann auch nicht mehr so viel erklären, sondern braucht nur zu zeigen: so schaut es aus.”

Nur konsequent eigentlich, dass die Skulpturen unverkäuflich sind. Nur konsequent auch, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn Pichlers Skulpturen zu Ausstellungen verreisen dürfen. Swohl im Städelmuseum in Frankfurt als auch im Stedelijk-Museum in Amsterdam erinnert man sich an durchaus umfangreiche räumliche Interventionen; an ausgebaute Türen, an neu geschaffene Fluchten, einiges davon blieb als dauerhafte architektonische Verbesserung. „Optimal wäre eine simple Halle, in der man alles aufführen kann, mit allen technologischen Möglichkeiten…. In Wahrheit braucht man für eine gute Ausstellung eine Baustelle”, hat er in einem Interview mit Christian Reeder einmal gesagt. Diese idealen Bedingungen hat er übrigens im Jahr 1990 im Museum für angewandte Kunst in Wien vorgefunden: das MAK war damals gerade im Umbau. Aber wenn die Plastiken von ihren Exkursionen in die Museen und Galerien dieser Welt wieder in ihre Häuser im Burgenland zurückkehren, dann weiss Walter Pichler, dass sie hierher - und nur hierher - am besten passen. „Es ist ja schwierig mit diesem Beruf. Ich liebe ihn über alles, aber wohin mit den Arbeiten? Für die Kirche könnte ich nicht arbeiten, für die Bank auch nicht. Und für den öffentlichen Raum will ich nicht. Es gibt keinen Platz, wo diese Objekte legitim hingehören. Man könnte es nur ‚nicht machen’; aber ich mach es so gern.” Es: das ist zeichnen, planen, skizzieren, Modelle bauen. Es: das ist aber auch löten, schleifen, nieten, polieren, schweres Handwerk, darauf will er am allerwenigsten verzichten: „Ich werde doch nicht das Vergnügen wem anderen überlassen. Ich zermartere mir den Kopf und wer anderer darf es bauen? Ich denke nicht daran!” Es: das ist schließlich auch die Baustelle, dieses feine soziale Getriebe, Menschen aus der Umgebung, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet, auf die er sich verlassen und mit denen er sich über technische Probleme unterhalten kann, die ihn und seine Projekte verstehen: „Weil ich gut vorbereitet bin, wenn ich zu bauen beginne. Ich habe den Plan. Ich habe die Leute. Und ich habe das Geld.”

Das Geld: früher gab es für jedes Projekt ein eigenes Sparbuch; ausgegeben werden durfte nur, was mit Zeichnungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Projekt verdient wurde. Eine kostenintensive Kunst - „aber ich wüsste nicht, wofür ich mein Geld lieber ausgeben würde.”

Bauen erscheint ihm nur im Zusammenhang mit seinen Skulpturen sinnvoll. Obwohl, zwei Ausnahmen hat er schon gemacht: das eine Mal für seinen Freund Michel Würthle, ein Steinhaus auf der griechischen Insel Syros. Geplant war es für Würthles Steinesammlung, aber es wäre schade um das spartanisch-schöne Haus, also wohnen jetzt Menschen drin und die Steine liegen nach wie vor im Freien. Das zweite Mal hat er ausserhalb seines burgenländischen Anwesens für seinen Cousin Walter Pichler gebaut: das „Haus neben der Schmiede” in Eggental in Südtirol; der Name ist Programm, das 56 Quadratmeter große, schlichte Ein-Raum-Haus steht neben der denkmalgeschützten Schmiede seines Großvaters, ist eher Skulptur als Haus - und mittlerweile Treffpunkt für die ganze Familie. „Ich habe ja mit Verwandtschaft nicht so viel am Hut. Aber diese Arbeit war das Verbindungsglied, das Mittel zur Annäherung an meine Wurzeln.”

Am 1. Oktober 1936 wurde Walter Pichler in Deutschnofen in Südtirol in eine Handwerkerfamilie hineingeboren; von klein an hielt er sich gern in der Werkstatt auf, fasziniert von der Atmosphäre, vom Handwerk; und früh hat er die Zeichnung als jenes Werk-Zeug begriffen, mit dem er arbeiten wollte: „Ich wundere mich immer über die Genies, die so viele Möglichkeiten haben; das habe ich nicht - aber Ich habe glücklicherweise das erwischt, wo ich am weitesten kommen kann”, sagt er. Und mit einem Lachen: „Ich wäre ein erbärmlicher Dichter und ein noch erbärmlicherer Musiker.” Auch unterrichten wollte er nie, zu viel Konkurrenzdenken, zu viel Administration, auch habe er gar keine Tendenzen zu einer „Pichler-Schule”; im Gegenteil, wenn er auf seinen Streifzügen durch die Museums- und Galerienszene gelungene Arbeiten sieht, die Künstler-Kollegen auf ganz andere Weise zustande gebracht haben, so freut es ihn. Nein, er hält seine Vorlesungen lieber in Kaffeehäusern - „aber gratis. Ich möchte nicht dafür gezahlt werden und keine Privilegien daraus ableiten können. Denn dann kann ich nicht mehr frei reden.” Freiheit in der Kunst und Unabhängigkeit im Leben: wichtigste Koordinaten im Pichler’schen Wertesystem.

Weil er Literatur schätzt und um künstlerisch unabhängig bleiben zu können, sich nicht Marktgesetzen beugen zu müssen, gestaltete Walter Pichler seit den 60er Jahren Buchumschläge für den Residenz-Verlag; mit den meisten österreichischen Autoren und Autorinnen ist Pichler befreundet, „die waren noch längst nicht fertig mit dem Text, als ich schon den Umschlag machen musste. Viele haben mir eine Stelle vorgelesen, die ihnen besonders wichtig war. Und ich hab dann dementsprechend die Umschläge entworfen.” Diese Verlags-Arbeit hat es Pichler seinerseits ermöglicht, sein eigenes Werk sorgfältig und lückenlos zu dokumentieren, in Projekt-Katalogen und, diese Projektkataloge zusammenfassend, in gebundenen Büchern, jedes einzelne an das vorherige anknüpfend, „da wurde nicht um Seiten gefeilscht oder über Geld geredet”. Fotografiert werden die meisten Objekte und Projekte von Pichlers Frau, der Architektur-Fotografin Elfi Tripamer . „Ich brauche ihre Art der Fotografie. Nicht nur, dass sie immer genau dann da ist, wenn etwas zu fotografieren ist. Wir diskutieren oft über die Fotografie - weil ich genau weiss, was ich will. Aber sie macht dann die Fotos, die sie will, ganz anders als meine Vorstellungen. Aber sie hat recht. Sie hat immer recht. Ihre Fotos sind besser als das, was ich machen wollte: weil sie die Distanz dazu hat. Meins ist Pflicht. Ihres ist Kür.”

Dass es gleich zu seiner ersten Ausstellung in Wien - übrigens 1963 in der Galerie nächst St. Stephan und übrigens gemeinsam mit Hans Hollein - einen Katalog gab, war ausschließlich Pichlers guten Beziehungen zum Residenz-Verlag zu verdanken. Damals, in den 60er Jahren, war er vor allem an der Bau-Kunst interessiert, in dünn strichigen Architektur-Zeichnungen entwickelte er gemeinsam mit Hollein und Raimund Abraham die “Visionary Architecture” , die 1967 im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde; ein Jahr später wurde Pichler zur Documenta in Kassel eingeladen, zwischendurch lebte er in Paris, New York und Mexiko. Und 1982 vertrat er Österreich auf der Biennale in Venedig. Das 45Jahr-Jubiläum feierte Pichler noch mit dem Residenz-Verlag; als aber dessen langjähriger Lektor Jochen Jung im Jahr 2000 recht unschön aus dem Verlag entfernt wurde, da entfernte sich Pichler mit ihm: jetzt gestaltet er das exquisite Literatur- und Kunstprogramm für „Jung und Jung”; ja, und hier wird er nächstens wieder sein eigenes Werkbuch herausbringen, einen Band über die vergangenen 10 Jahre. Das Atelier in Wien ist zentrale Material-Sammelstelle. Gleichzeitig bereitet er in aller Sorgfalt seine Ausstellung in Innsbruck vor, keine Zufälligkeiten, keine Schlampereien. Da macht er keine Unterscheidung zwischen Museum in einer Kunstmetropole und Galerie in einer Landeshauptstadt. Gefährlich, sagt Walter Pichler, sei eigentlich nur die Routine; denn natürlich tendiere man dazu, das zu machen, was man schon immer gut kann. „Aber ich habe eine gute Methode, mich davor zu schützen”, sagt er, zieht an seiner Zigarette und lacht. „Ich habe viele Pichlers um mich herum stehen, die mir über die Schulter schauen.”


25
Jan

Wolfgang Hollegha: Der Komponist der Bewegung

Ein Holzhaufen zum Beispiel. Oder das Scheit, das schief an der Hauswand lehnt. Ein Knäuel aus Wurzeln und Ästen. Steine. Auswüchse von Tannen. Der Teddybär, der seit Jahrzehnten auf dem Fensterbrett sitzt. Die Löwen-Handpuppe in der Zimmerecke: Das sind die Gegenstände, die Wolfgang Hollegha so lange anschaut, immer wieder anschaut und zeichnet, und anschaut, und zeichnet, bis - ja, bis er die Bewegung entdeckt und diese Bewegung sozusagen vom Gegenstand loslöst, abstrahiert, in Farbflecken und -wischer und -spritzer auflöst. Auf dem Bild ist kein Gegenstand mehr zu erkennen, keine winzige Andeutung eines Holzscheites oder einer Puppe. Nur mehr Bewegung, in Wolfgang Holleghas Grammatik übersetzt. Geordnet.
Darum geht es nämlich: Dinge, Bewegungen zu ordnen in seinen Bildern. Ordnung des Gegenstandes. Und Ordnung der Bewegung.
“Ausgangspunkt ist immer ein Gegenstand. Ich male nur nach der Natur. Ich transportiere sogar Novopanplatten in den Wald, damit ich vor Ort zeichnen kann“, erzählt er.
RÜCKZUG
Ruhe im Kopf. Und Bewegung in den Gegenständen: deshalb hat er sich in ein 400 Jahre altes Bauernhaus auf dem Rechberg in der Steiermark, in der Nähe von Fronleiten, dem Ort seiner Kindheit, zurückgezogen. Seit 42 Jahren lebt er in der Einschicht, gemeinsam mit seiner zweiten Frau Edda. Vor 32 Jahren hat er dann am Waldrand nahe des Hauses sein Sommer-Atelier gebaut: 15 Meter hoch überragt es wie ein riesiger Hochstand, wie eine hölzerne Kathedrale, alle Baumwifpel. Und drüber und drinnen ist Ruh’.
Geboren wurde Wolfgang Hollegha am 4. März 1929 in Klagenfurt. Der Vater starb schon vor der Geburt, die Mutter hatte Tuberkulose, damals ein Todesurteil. Also nahm die Tante den kleinen Wolferl zu sich nach Fronleiten, und wenn er von seiner Mutter spricht, dann meint er sie. Bei ihr und seiner Großmutter also wuchs er auf, mit Kunst kam er kaum in Berührung; damals, in der Nazizeit, gab es wenig anregendes, höchstens ein paar Kunstpostkarten vom Kunsthistorischen Museum in Wien. Als er seinen ersten Picasso sah, war er schlichtweg entsetzt.
NEW YORK
Nein, sein Lebenslauf verheißt ihm nicht schon als Kind, daß er später einmal einer der wichtigsten abstrakten Maler Österreichs sein würde, der 1957 den Guggenheim-Preis erhalten, 1964 an der Documenta III in Kassel teilnehmen und 1960 mit den internationalen Top-Stars der abstrakten Malerei wie Mark Rothko, Kenneth Noland, Morris Louis gemeinsam in New York ausstellen wird. Rothko und Louis schätzt er übrigens bis heute ganz besonders, weil beide die Geometrie aufgelöst und kompliziertere Farbübergängen geschafft haben. Der amerikanische Kritikerpapst Clement Greenberg, der damals Künstlern und dem Publikum gleichermaßen streng dekretierte, was denn nun wirklich Kunst sei und was nicht, hatte den jungen Österreicher nach New York geholt. Hollegha entsprach seinen strengen Kriterien; zweimal stellte er im Guggenheim Museum aus, 1964 und 1966 - eine Tatsache, die er heute kaum erwähnenswert findet. „ Ich hätte erfolgreicher sein können, wenn ich in New York geblieben wäre und die Kontakte gepflegt hätte. Aber in New York zu leben, hat mich nie interessiert - ein halbes Jahr schon, aber sicher nicht länger” sagt er und fügt, mit einem leichten Kopfschütteln hinzu: „Nein, ich hätte mich sicher nicht gut entwickelt, wenn ich dort geblieben wäre.”
Also: zurück aufs Land. Der Naturraum ist sein Erlebnisraum, hier findet Hollegha seine Motive, Dinge mit Spuren des Alterns und der Vergänglichkeit. „Wenn man durch den Wald geht, da ist alles ein bißchen schief. Organisch. Oder, wie die Felsen, über Jahrtausende gewachsen. Dieses Schiefe, Organische, Gewachsene, inspiriert mich. Da ist nichts designt oder Technikerarbeit. Das paßt. Auch wir Menschen sind organisch, es ist verständlich daß man da eher eine Beziehung dazu hat. Unsere Wahrnehmung ist ja organisch. Der Kopf ist nie eine Kugel. Die geometrische Form ist absolut richtig, aber absolut unvereinbar mit der Verschiedenheit der Menschen”.
Das von der Mutter geerbte Haus in Fronleiten verkaufte er und erwarb stattdessen das alte Bauernwirtshaus mit viel Grund rundherum oben am Rechberg. Ein Haus mit einer ganz besonderen, archaisch-schönen Ausstrahlung: kein unnötiger technischer Schnickschnack, „mir gefallen die komplizierten alten Möbel besser als diese Designer-Sachen. Purismus kann ich ja noch verstehen; diese gewisse Strenge. Aber diese Designer….”, das Bad ein echtes Erlebnisbad, mit rohen Steinwänden, über einem langen Holztram hängen die Handtücher. In der Stube detailversessen schöne Stühle, Entwürfe des Hausherrn; und Altes, Schränke, ein Sofa, „wenn der Hollegha nicht kommt und kauft, haut man’s zsamm”, haben die Bauern gesagt und den Besuch des Künstlers herbeigesehnt.
DING-ALPHABET
Eine schiefe Treppe führt in den Atelierberich: helle, lichtdurchflutete Räume. Hollegha braucht das Licht, das richtige Licht. Hohe Räume, verschalt mit rohen ungesäumten Brettern. Ein ausgefinkeltes Lager-System. Vor den riesigen Fenstern glitzert der Schnee. Malschüsselchen stehen herum, Bilder, sorgsam mit der bemalten Fläche zur Wand gedreht, damit das Licht keinen Schaden anrichten kann.
Das Haus ist voll von alten, zerlegten Dingen, Körbe, Säcke, Leitern, Krüge, Puppen - „was im Vorhaus, auf den Fensterbrettern, in Nischen, Wandkästchen und Regalen herumliegt, sich eingeistet und verfilzt hat, das ist nicht pittoreskes Dekor oder romantische Unordnung: Hollegha erlebt diese Gegenstände als Fixpunkte seiner Formerfahrungen, sie sind sein Motivvorat, ein unerschöpfliches Ding-Alphabet”, schrieb Werner Hofmann anläßlich einer Ausstellung Holleghas im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts im Jahr 1967.
Jetzt ist das Schau-Modell also eine achtlos hingeworfene Mütze auf dem Kopf eines Holzpferdes, die ihn fasziniert, die er umkreist und studiert. „Bitte nicht berühren”, sagt er schnell, als wir in die Stube treten. Kein Gast, nicht seine Frau Edda, auch nicht er selbst - niemand darf den Schwung der Kappe verändern, die vor guten zwei Wochen eher zufällig auf dem hölzernen Ringelspielpferd gelandet ist, irgendwann, beim Nachhausekommen. Jetzt muß sie bleiben. Und der Künstler schaut, „man sieht ja nicht jeden Tag gleich gut”, schaut - so lange, bis er die Bewegung entdeckt. In den nächsten Tagen wird er mit dem Zeichenstudien beginnen.
So ist es immer. Zuerst Zeichnen. Der Weg von der Wahrnehmung zum Bild führt über die Zeichnung, genauer: über die Zeichnungen. Er zeichnet viel, von 10 Zeichnungen überleben allerdings nur wenige sein strenges Selbst-Urteil. Meist nur eins. Den Rest wirft er weg, „denn beim Zeichnen experimentiere ich, zeichne auch drüber und dann wird es oft echt häßlich. Und graphisch grauslich” sagt er, ganz ohne Pathos. „Diese Zeichnungen: das ist so, wie wenn jemand am Klavier spielt, übt, experimentiert, ausprobiert, um sich was zusammen zu komponieren.”
Wenn er das Objekt oft genug gezeichnet und die Komposition im Kopf hat, dann muß er nur mehr die Farbflecken richtig plazieren. Nur mehr, sagt er.
ANFANG
Der Anfang sei das Ärgste, wo man nämlich den ersten Fleck hinsetze - „hier bei dem war es zum Beispiel links unten. Und dann ist es natürlich wichtig, die Bewegung im Gleichgewicht zu halten.”
Am Anfang also ist der Fleck. Die konkrete Ausführung entsteht spontan, natürlich spielt auch der Zufall eine Rolle, aber „man muß wissen, ob der Zufall gerade paßt oder nicht. Man muß den Moment des Zufalls wissen, ob es möglich ist oder nicht - und notfalls sofort korrigieren. Es ist wie beim Komponisten. Der hat auch die Musik im Kopf und spielt dann aus dem Stehgreif; aber trotzdem muß es eine gewisse Ordnung haben. Einen Zusammenhang. Eine Logik. Eine bestimmte Grammatik.”
Vokabular, Grammatik, Individualität: Schlüsselworte für Hollegha. „In der Wissenschaft kann man keine Individualität haben. Im Gegenteil. Einstein kann nicht sagen, daß eine Formel nur funktioniert, wenn er selbst sie anwendet - weil nur er selbst sie anwenden kann. In der Kunst ist das anders. Da muß die Individualität bleiben und Grammatik hat überhaupt nur Sinn, wenn es die Grammatik einer bestimmten Person ist. Diese individuellen Grammatiken stören einander nicht; man kann ja nie sagen: Rembrandt und Velasquez korrigieren einander, nur einer ist etwas wert. Nein - beide sind in ihrer künstlerischen Individualität wichtig, mit ihrer ganz eigenen Grammatik.”
Hollegha hat seine eigene Grammatik entwickelt und mit ihr seine ganz bestimmte Schreibweise. Dünner Farbauftag, nie mischt er Weiß dazu, um nicht pastos zu werden, nur die weiße Grundierung schimmert durch die Farbflecken und Wischer. Er kommt mit wenigen Farben aus: drei Blau, zwei Rot, ein Gelb, ein Braun, daraus mischt er sich alle Kompositionen und Schattierungen, die er möchte. Vor ein paar Jahren hat man eine seiner Lieblingsfarben verboten, die er vor 30 Jahren entdeckt hat das Manganblau, das leuchtendste, kalte blau, das denkbar ist und wegen seines hohen Sättigungsgrades im normalen Farbkreis nicht angetroffen wird. Dieses Manganblau - auch die Bezeichnung Mangancölinblau ist üblich - ist als Briumverbindung leicht giftig, weshalb die EU die Herstellung der Farbe verboten hat. „So ein Blödsinn”, sagt Hollegha. „Aber das ist typisch für diese Herrschaften. Das wäre so, als würde man einem Musiker sagen, jetzt gibt es das C nicht mehr. Aber ich habe damals noch schnell viele Dosen gekauft; so wie auch die zwei Rot und das Gelb: sind Kadmiumfarben, die wollen sie jetzt auch verbieten.”
Hollegha malt nicht mit dem Pinsel; in seinen Ateliers stehen hunderte kleine weiße Porzellanschüsselchen, aus denen er die Farbe auf die Leinwand schüttet; und mit Stoff-Fetzen, mit Bäusche streicht er die Farbflecken aus, verwischt sie. Durch das Hinauswischen entstehen die Konturen. Ist der Fetzen trocken, ensteht harte Kante, bei feuchten Bäuschen wird die Farbkante fließend.
Die Vorbereitung dauert lang, Leinwand grundieren, Zeichnen, Analysieren, Experimentieren, Komponieren, Bewegung sehen, Raumstrudel, drei Wochen dauern die Vorbereitungen für ein großes Bild - aber dann, dann! muß es schnell gehen, das wichtigste muß an einem Tag fertig sein, korrigieren ist nicht möglich - anders als bei pastos gemalten Bildern, wo man drübermalen oder abkratzen kann, was sich Irrtum herausstellt.
Kleine Gegenstände wie zum Beispiel ein Holzscheit werden ganz groß.
„Die großformatigen Bilder sind mir wichtig - auch wegen der Bewegung. Ich bewege mich gern beim Arbeiten”, sagt er, „Bewegung ist ein Teil der Wahrnehmung.”
Groß, das heißt bei Hollegha wirklich: groß. Fünf Meter hoch sind die größten Bilder, auch bei diesen großformatigen Werken hat Hollegha immer das Ganze vor sich; und die Zeichnungen an den Wänden. Ja, und Musik, die braucht er auch, am liebsten hört er beim Malen Bach, gewisse Sachen immer wieder, „wie ein Zirkuspferd. Das tanzt auch bei bestimmten Melodien. Und ich male gern bei gewissen Melodien. Ich höre gern alte Musik. Alte Musiker sind streng wie 12-Ton-Musiker, aber noch lebendiger. Sie sind ebenso richtig. Meine Malerei ist wie eine Fuge.”
Zum Malen breitet Hollegha die grundierte Leinwand ohne Rahmen ganz plan auf den Boden. „Die Bauern glauben, daß ich im Atelier ganz hoch hinaufsteige und die Farbe runterleere - so eine Art Über-Nitsch”, sagt er und lacht.. Aber seine Malweise ist nicht aktionistisch, nicht informell. Tachismus ist, wenn man denn schon eine braucht, die Schublade für Hollegha.
Dank eines Systems aus Latten und Brettern kann er sich auf dem und über das Bild bewegen. Aus den Malschüsseln schüttet er die Farbe exakt dorthin, wo er sie haben möchte, kein aktionistisches Ausleeren, Drüberschütten, präzise steuert Hollegha den Farbfluß und damit auch die Dynamik der Farbflecken, verwischt sie mit den Bäuschen, harte Kanten, weiche Kanten, bis die Komposition stimmt.
10 solcher Großformate zeigt er im Museum Essl, vier kommen aus der museumseigenen Sammlung dazu. Es ist lange her, daß er so riesige Bilder ausgestellt hat, beide Male in der Galerie der Akademie: 1981 in einer Einzelausstellung; und 1997, in der Abschiedsausstellung der Professoren, die damals alle in Pension gegangen sind: Hollegha, Mikl, Hundertwasser, Lehmden und Brauer ( Rainer ging übrigens aus gesundheitlichen Gründen schon ein Jahr früher)
25 Jahre hat Wolfgang Hollegha eine Meisterklasse an der Akademie geleitet, ist zwischen 1972 und 1997 jede Woche von Rechberg nach Wien und wieder zurückgependelt. Einige seiner Studentinnen und Studenten haben ihn geradezu kulthaft verehrt, was er las, lasen auch sie: Kafka beispielsweise, Shakespeare-Dramen, Bernhard. Was er an Musik hörte, hörten auch sie: alte Musik, Bach. Und was er in der Kunst(geschichte) schätzte, das schätzten auch sie: Van Eyck, Leonardo, Tizian, Velasquez, Surbaran und Goya, „die Klassiker eben: sie sind auch abstrakt in ihrer Art, logisch, vollkommen richtig und außerdem sehr ausdrucksstark. Eine Zeitlang war ich versessen auf Mondrian, weil der so richtig ist, aber dann bin ich draufgekommen, dass die großen alten Meister genauso richtig sind, aber bewegter, reicher”.
Überredet zur Professur haben ihn Fritz Wotruba und Josef Mikl. Beide lernte er schon während seines eigenen Akademie-Studiums kennen- und schätzen: Wotruba als Professor; Mikl als Studienkollegen.
Hollegha war nicht einer, bei dem die Erwachsenen schon im Volksschulalter künstlerische Begabung konstatiert hätten. Im Gegenteil. Als ihn die Ziehmutter bei einem Besuch in Heiligenblut aufforderte, die Kirche zu zeichnen, verweigerte er das. Mit vierzehn, fünfzehn malte er aufgehängte Hexen und ab da wußte er, daß er Maler werden wollte. Er begann sein Studium an der Kunstakademie gleich nach dem Krieg1947. „Ich war damals nah dem Lehmden und dem Brauer, so boschartig, als ich an die Akademie gekommen bin. Aber technisch war ich nie so perfekt wie diese beiden. Dann hat mich Matisse fasziniert, dann Picasso. Und ein Jahr später ist der Mikl gekommen. Dann ist es richtig ernsthaft geworden. Mikl verdanke ich viel, er hat mich sehr beeinflußt. Seine Arbeiten waren so logisch und so konsequent. Er hat einen Akt gezeichnet und da waren gleich die Röhrenbilder: so richtig und so konsequent. Auch ich habe angefangen, Maschinenbilder zu malen. Aber dann hat der Mikl gesagt: Deine Maschinenbilder sind ja so menschlich”.
Studiert hat er bei Josef Dobrovsky, einem angenehmen Lehrer, „er hat uns alles machen lassen, was wir wollten - auch wenn er’s nicht verstanden hat.” Alfred Hrdlicka war übrigens Klassenkollege, schon damals war er gegen Abstraktion und für sozialistischen Realismus, Mikl habe ihn deshalb immer den „Volksgesundler” genannt. „Und wir, die Abstrakten, waren sozusagen die CIA-Maler, wegen der amerikanischen Abstraken - obwohl, da war natürlich keine Spur von CIA und wenn das heute jemand zu mir sagen würde, wäre ich schon sehr bös.”
AUFBRUCHSZEIT
Richard Gerstl, von dem habe er profitiert - und, natürlich, von Herbert Boeckl. Bei ihm habe er Aktzeichen gehabt, ein Pflichtfach zwischen fünf und sieben, neben Wotruba der geachtetste Leherer damals an der Akademie.
Es war eine spannende Aufbruchszeit; die Menschen nach dem Krieg waren noch sehr vom Realismus angetan; über die Abstrakten wraen sie richtig empört, „sie sind mit Schirmen auf uns losgegangen”, erinnert sich Hollegha amüsiert.
Mir hat das nichts ausgemacht. Auch die Mutter hat’s nicht verstanden. Nur die Großmutter, die hat mich immer verteidigt.”
Hollegha war Mitglied der legendären „Hundsgruppe” und des nicht minder legendären „Art Club”; gemeinsam mit Mikl, Markus Prachensky und Arnulf Rainer bildete er den harten Kern der Galerie nächst St. Stephan.
Hier, im „Otto Mauer-Heiratsvermittlungsinstitut” (Hollegha), lernte er damals auch seine zweite Frau Edda kennen. Die Sprachstudentin aus Salzburg jobbte auf Vermittlung ihrer Cousine Kiki Kogelnik, ebenfalls einer St. Stephan-Künstlerin, im Sekretariat der Galerie.
Seine Frau ist auch seine erste Kritikerin. „Ich halte viel von ihrem Urteil. Wenn man fertig ist mit einem Bild, ist man ja oft so mitgenommen, daß man Gefahr läuft, weiterzumalen und das Bild kaputt zu machen. Die meisten Bilder, die ich fertig habe, halte ich zuerst einmal für mißlungen. Heute weiß ich das schon und warte zumindest 10 Tage ab, bis ich wirklich ein Urteil fälle und womöglich das Bild zertöre. Früher habe ich drei Bilder gemacht und zwei weggeworfen.”
Auf einer Autoreise durch Spanien - auf dem Programm stand romanische Architektur - haben sie die Landschaft Nordspaniens für sich entdeckt; vor zwölf Jahren haben sie hier ein Haus - „was heißt: Haus - einen Steinhaufen” gekauft: älter noch als ihr Haus in Rechberg, und noch archaischer; in einer verlassenen Gegend; Felsen sind dort und dicke, schöne Edelkastanien, Objekte, die Hollegha so lange anschaut, bis er ihre Bewegung, ihre Dynamik, ihre innere Logik wahrnimmt und zeichnet. Dort leben die Holleghas im Frühjahr und im Herbst . Im Sommer aber, da möchte Wolfgang Hollegha wieder daheim sein, in seinem Atelierhaus, um seine großformatigen Bilder malen. Im Winter braucht er den Schnee und die Stille auf dem Rechberg. Und die Bücher. Zum Beispiel von dem spanischen Dichter Francisco de Quevedo, einem Zeitgenossen von Velasquez, den Hollegha besonders schätzt:
Und als wir zu einem äußerst finsteren Kerker kamen, hörte ich einen großen Lärm von Ketten und Fußfesseln, Peitschenhieben und Schreien. Ich fragte einen von denen, die sich dort aufhielten, um was für einen Ort es sich handle, und sie sagten mir, dass es das Verlies der „O hätte man doch!” wäre. “Ich verstehe nicht”, sagte ich. „Wer sind die ,O hätte man doch´?Er sagte sogleich darauf: Es sind törichte Menschen, , die auf der Erde schlecht lebten, und sie verurteilten sich, ohne es zu verstehen, und jetzt hier sagen sie in einem fort: O wäre man doch zum Gottesdienst gegangen! O hätte man doch geschwiegen! O hätte man doch etwas für den Armen getan! O hätte man doch nicht gestohlen.”
Nein: Wolfgang Hollegha ist kein „O hätte man doch”. Er geht seinen Weg, unbeirrt von vermeintlichen Zwängen und künstlerischen Moden. Und seine Bilder werden Zeit und Moden überdauern - mehr kann ein Künstler nicht erreichen.


06
Mai

Fragmentier-Bar

Eines Nachmittags - ich hatte soeben eines meiner allerersten Artikelchen zuende gedichtet und litt unter anfallender Schreiblosigkeit - lag meine Karriere plötzlich glasklar vor mir: Ernestina Hemingway!…..Rauhe Stimme, gute Klaue!…Verwegene Nächte in schummrigen Bars, der gepflegte Rausch als stimulans für literarische Bestseller und romantische Affären!…

Das schüchterne Schäflein vom Land ließ ich ab sofort und samt blauen Faltenröcken hinter mir. Zöpfe ab, Unschuld ade. Als einsame Wölfin in Jeans- und Lederkluft streifte ich fortan durch die Kneipen, umschwärmt von trunkenen Flaneuren und schönen Nachtfaltern; Continue Reading »


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