Maria Lassnig: Sich selbst erspüren und die Welt mitfühlen | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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25
Apr

Maria Lassnig: Sich selbst erspüren und die Welt mitfühlen

„Ich muss mir erst einen Platz suchen, wie ein Hund”: etwas verloren blickt sich Maria Lassnig in ihrem neuen, schönen, eleganten Loft um. Riesige Atelier-Fenster zu beiden Seiten, aber die Jalousien sind heruntergelassen, damit die Nachbarn nicht hereinschauen können. Sie vermisst den Ausblick aus ihrem alten Atelier direkt auf den Schönbrunner Schlossgarten; und sie bedauert, dass sie nicht mehr einfach die Straße überqueren und in einem der schönsten Parks spazieren gehen kann; ja, und die Schreibmaschine, die noch nicht übersiedelt ist, die fehlt ihr auch. Und der gewohnte Malplatz natürlich am meisten. Aber, sie weiß es, alle Vernunftgründe sprechen für die Übersiedlung: das alte Atelier war zu klein geworden, Künstlerin und Kunst sind im Laufe der letzten 25 Jahre buchstäblich darüber hinausgewachsen. Außerdem: vierter Stock ohne Lift. Und im Sommer glühend heiß so direkt unterm Dach. Also hat sie die neuen Räumlichkeiten im 14. Bezirk erworben und von Architekt Hermann Eisenböck umbauen lassen, 270m2 pro Etage.

„Was, in deinem Alter tust du dir das noch an?” Diese Frage macht sie richtig wütend: „Das Alter! In Österreich wird man als Frau, als Künstlerin damit abgestempelt. Ich habe die Jahre nie gezählt. Ich war nie jung. Und bin jetzt nicht alt.” Nun also sind alle ihre Bilder bereits an der neuen Adresse, im Lager gleich unter ihrem Wohnatelier, ebenso neu und ebenso schön. Fast ein Museum. Und Maria Lassnig beobachtet das Licht, wie es durch ihr Loft wandert, damit sie irgendwann, bald, weiß, wann und wo sie künftig malen wird.

Maria Lassnig ist eine der erfolgreichsten Künstlerinnen weltweit, mit Ausstellungen in den Kunstzentren Europas und den USA, Biennale in Venedig, zweimal documenta in Kassel, Düsseldorf, Nürnberg, Köln, Berlin,Luzern, Paris, New York, Den Haag, Frankfurt , Zürich, München und Rom, überhäuft mit nationalen und internationalen Preisen. Österreich ehrte sie (übrigens als erste bildende Künstlerin) 1988 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und zehn Jahre später mit dem Oskar Kokoschka-Preis. 2002 wurde sie in Zürich mit dem höchstdotierten europäischen Kunstpreis, dem Roswitha Haftmann-Preis (Preisgeld: 81.600 €) und von der Stadt Siegen mit dem Rubenspreis (5.200€) ausgezeichnet. Die Stadt Frankfurt verlieh der großen Künstlerin 2004 den mit mit 50.000 € dotierten Beckmann-Preis, und so weiter und so fort, kleinere Würdigungen sind in dieser Aufzählung nicht enthalten. Natürlich waren die Preise stets verknüpft mit Ausstellungen und Dankesreden und mit Auftritten und Abendessen im Kreise von Bürgermeistern und Honoratioren; viel Öffentlichkeit für eine zurückgezogene, bescheidene und äußerst introvertierte Künstlerin, die dem gesellschaftlichen Geklingel wenig Wert beimisst: „Ich weiß um die Flüchtigkeit von Berühmtheit und Prominenz.”

Lange musste sie auf künstlerische Anerkennung warten; vermutlich, weil sie keine angepasste Netzwerkerin ist, sondern manchmal geradezu mühsam ehrlich und kompliziert. Weil sie keine faulen Kompromisse eingeht und Anbiederei an die Mächtigen des Kunstmarktes strikt ablehnt. Die Kunst des Schmeichelns beherrscht sie nicht. Folglich: Kein Senkrechtstart, sondern ein schwieriges, entbehrungsreiches Künstlerdasein. Sowieso haben es Frauen noch immer schwerer als Männer, ganz im allgemeinen, und in der Kunstszene im besonderen. „Ich glaube, jede nachdenkliche Frau ist Feministin”, sagt sie und streicht eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Man hat einer Frau nie soviel geglaubt wie einem Mann, sondern gesagt, nach der Tradition wird die sowieso heiraten. Aber Kinder und Malerei, das wäre - für mich jedenfalls - unmöglich gewesen. Aber es tut mir um jeden Kuss leid, den ich nicht gegeben habe. Deshalb bin ich manchmal zu Tränen gerührt, wenn mich ein Kind streichelt. Oder eine Katze mich umstreicht.” In ihren „drastischen Bildern” erzählt sie Ende der 1990er Jahre von ihren Illusionen von den versäumten Heiraten, der versäumten Mutterschaft.

Geboren wurde Maria Lassnig am 8. September 1919 in Kappel in Kärnten als lediges Kind (was sie in den 1970er Jahren in ihrem Zeichentrickfilm „Palmestry” verarbeiten wird: „Ich hatte keinen Vater. Eher hatte ich drei. Mein wirklicher Vater verließ meine Mutter bei meiner Geburt”).1926 zieht sie mit der Mutter nach Klagenfurt, die ihre wichtigste Bezugsperson bleibt: „Ihr Tod 1964 war das schrecklichste Erlebnis in meinem Leben. Wie sehr sie mir gefehlt hat, habe ich erst gemerkt, nachdem sie gestorben ist.” Seelische und künstlerische Erschütterung, in berührenden, schmerzvollen Bildern verarbeitete Lasssnig diesen Verlust: Da lebte die junge Malerin schon in Paris, weil ihr die Kunstwelt in Österreich längst zu eng(stirnig) geworden war.

Dass sie einmal Österreichs bedeutendste Künstlerin werden sollte, deren Bilder bei Auktionen Höchstpreise erzielen (wie etwa ihre “Woman Power”, die im Jahr 2001 um sensationelle 163.500 € versteigert wurde) war ihr beileibe nicht von klein auf vorgegeben. Zwar kopierte sie bereits im Alter von sechs Jahren alte Meister, „wir hatten im Geschichtsbuch einen Dürer, den habe ich unter der Bank abgezeichnet. Oder ich habe meine Freundinnen porträtiert”, doch dann vergaßen Mutter und Tochter das zeichnerische Talent. „Meine Mutter wollte, dass ich heirate - Sicherheit durch den Ehemann. Und ich, ich bin damals halt einfach dahingetrottet, wie ein junges Kalb.” Also unterrichtete Maria Lassnig 1940 ein Jahr an einer Volksschule im Metnitztal, ehe sie 1941 mit einer Mappe nach Wien reiste und an der Akademie der bildenden Künste in die Meisterklasse von Wilhelm Dachauer aufgenommen wurde. Doch schon zwei Jahre später, 1943, musste sie die Klasse auch schon wieder verlassen. Dachauer forcierte einen heimattümelnden Realismus, Lassnigs Bilder galten in diesem Umfeld als „entartet”. Ihr Studium schloss sie bei Ferdinand Andri und Herbert Boeckl ab. Die Bilder, die sie damals malte - die geliebte Mutter und erste Selbstporträts - lassen übrigens noch den Einfluss Boeckls erkennen, vor allem aber bereits ihr künstlerisches Lebensprinzip: die Suche nach einer Realität, die, wie sie sagt, „mehr in meinem Besitz ist als die Außenwelt.” In einem höchst einsamen, aber nie abbrechenden Dialog mit sich selbst ertastet Maria Lassnig ihre Identität, gibt ihren Körpergefühlen, Körperempfindungen, Körperwahrnehmungen, den Körper-Erfahrungen äußere Form. Sie trete, sagt sie, gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne Absicht, ohne Planung, „doch habe ich einen Ansatzpunkt, der aus der Erkenntnis entsteht, dass dass einzig mir wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen”.

Körperhaut, nicht von außen gesehen, sondern von innen gespürt, Streckempfindungen, Druckempfindungen im Arm, auf den sie sich beim Arbeiten stützt, völlige Leere, schwierig darstellbare Dinge. In ihrem Tagebuch notierte sie 1970 dazu: „Ich fühle die druckstellen des gesäßes auf dem diwan, den bauch, weil er gefüllt ist wie ein sack, der kopf ist eingesunken in den pappkarton der schulterblätter, die gehirnschale ist nach hinten offen, im gesicht spüre ich nur die nasenöffnungen groß wie die eines schweines und rundherum die haut brennen, die wird rot gemalt.”* Wichtig dabei ist, dass man keine Körperschmerzen haben darf beim Malen: „Kafka hat gesagt, Kunst kommt von Schmerzen. Das stimmt nicht, zumindest nicht bei mir.”

Bereits in ihren „statischen Meditationen” hatte sie äußere Einflüsse überwunden, sehr direkt verwandelte sie in ihren „Spannungsfigurationen” und Strichbildern Anfang der1960er Jahre erstmals Körperempfindungen Malerei; einzelne Farbpunkte und Linien entsprechen körperlichen Druckstellen und Gefühlen.

Später wird sie von dieser Innenarchitektur Brücken zur Außenwelt schlagen, wird die körperlichen Empfindungen mit ihren Erfahrungen in und mit der Welt in Beziehung setzen. „Drastische Bilder” nennt sie diesen Themenkomplex, in dem sie die großen philosophischen Themen wie Tod, Liebe, Vergänglichkeit, aber auch Zerstörung der Umwelt, Krieg, Vernichtung reflektiert, mitfühlt, im eigenen Leib spürt: „Ich fange immer mit Körpererfahrung an. Aber dann kommen Weltprobleme hinein, die mich gerade beschäftigen. Existentielle Fragen: das Krankenhaus etwa. Die Natur, die von den Menschen malträtiert wird. Oder der Krieg. Für die Kriegsbilder brauche ich keine Fotos oder direkten Vorlagen. Die Bilder, die ich mache, sind die Summe meiner schrecklichen Zustände, wenn ich an den Krieg denke. Es sind jedenfalls keine Ilustrationen von Krieg, das kann ja nur jemand machen, der mittendrin war in den Schrecklichkeiten.” Wenn sie im Fernsehen Kriegsbilder sieht, sagt sie, fange sie ganz automatisch zu weinen an.

Zwischen 1945 und 1951 lebt und arbeitet Lassnig in Kärnten, mit einem Stipendium reist sie 1951 Paris, lernt dort Paul Celan und André Breton kennen - und die informelle Malerei, nicht als gestische Aktion, sondern als konzentriertes Zurücknehmen, ein Selbstbesinnen. Nach einem Wien-Intermezzo kehrt Lassnig 1961 in die Kunstmetropole Paris zurück. „Ich hatte wohl Kontakt zur Künstlergruppe nächst St. Stephan, Monsignore Mauer hat mich auch öfter eingeladen. Aber richtiges Gruppengefühl hatten wohl nur die jungen Männer”, erinnert sie sich an die gläserne Decke, die für Künstlerinnen damals ziemlich tief hing. 1968 wird ihr schließlich auch Paris zu eng, mit dem Schiff reist Lassnig nach Amerika. Die junge Österreicherin wohnt zuerst in Queens, dann in den Slums von Mahattan und schließlich im Künstlerviertel SoHo.

Am Westbroadway, Ecke Springstreet wird ein ehdem schwarzer Fabriksraum zu ihrem weißen Wohnatelier; die Haustiere der Loftgenossin inspirieren sie zu ihren Tierbildern, die Grenzen zwischen äußerer und innerer Welt verwischen. Tagsüber malt sie, abends sitzt sie am Tricktisch: „Das ist damals in der Luft gelegen. Jeder hat Filme gemacht. Das hat mich sehr fasziniert. Es gab ja richtige Eifersüchteleien zwischen Malern und Filmemachern. Das verstehe ich gut. Ich bin ja auch auf die Fotografie eifersüchtig. Sie braucht weniger Plage und hat größere Wirkung.”

Maria Lassnig engagiert sich, gemeinsam mit Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, in der „Artists Women’s Lib”, wo sie vor allem wegen ihrer feministisch-ironischenZeichentrickfilme bekannt ist: „Sie war die erste, die den Trickfilm in die Kunst geholt hat”, erinnert sich Bourgois noch viele Jahre später bestens an ihre Freundin aus Österreich.

1980 kehrt Maria Lassnig nach Österreich zurück, bezieht ein Atelier im 13. Bezirk, sommers arbeitet sie in einer ehemaligen Schule auf einer Kärntner Alm; sich selbst zu erforschen, um die Welt zu verstehen, ist ihr nur in äußerster Konzentration und Ruhe möglich. Dort, in der Einsamkeit, beginnt sie auch, dreidimensional zu arbeiten, „denn am Land hatte ich das Werkzeug. Ein Gurktaler Sammler hat es mir gegeben. Mich hat einfach interessiert, was ich zusammenbringe. Denn eigentlich hat ja ein Maler nicht die richtigen Hände dazu.”

Der eigentliche Grund für ihre Rückkehr ist aber ihre Berufung an die Universität für angewandte Kunst; ein künstlerischer und persönlicher Triumph! Mit 61 Jahren wird Maria Lassnig die erste Professorin an einer Kunstuniversität im deutschsprachigen Raum. Es folgen Biennale, Documenta, Ausstellungen, Preise, Weltruhm, Details siehe oben.

Allerdings: Maria Lassnig ist keine, die er Erfolg milde und nachsichtig gemacht hätte, im Gegenteil. Ihre Empörung ist frisch, die Wut unverbraucht, die Enttäuschung jung: „Die Ausstellung beim Essl hat mich fertig gemacht. Ich habe nicht mitgewirkt beim Aussuchen. Die tun ja so, als ob ich schon tot wäre. Aber mit einer lebenden Künstlerin setzt man sich doch in Verbindung”, sagt sie grantig. Und dann, dann lacht sie ihr mädchenhaftes Lachen, scheu, fast verlegen. Vielleicht ist die Stimmung ja auch eine Folge der jüngsten Veränderungen. Das Malen geht ihr ab, das Schreiben auch. Also muss die Schreibmaschine demnächst übersiedelt und ein optimaler Platz fürs Arbeiten gefunden werden. Schraffiertes Licht fällt durch die geschlossenen Jalousien ins neue, schöne, große Loft. Ein bisschen fremd noch alles. Wie schrieb sie schon 1943 in ihr Tagebuch: „Alles gut und schön - und trotzdem sehr beschissen.”

*: MARIA LASSNIG: DIE FEDER IST DIE SCHWESTER DES PINSELS. Tagebücher 1943 - 1997, Hsg. Hans Ulrich Obrist, 198 S.,erschienen bei Dumont.



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