Schauspieler Philipp Hochmair: “Mich interessiert kein Alltag” | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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30
Apr

Schauspieler Philipp Hochmair: “Mich interessiert kein Alltag”

In den “Vorstadtweibern” gibt er den schmierigen Minister Schnitzler; mit Goethes “Werther” tourt Philipp Hochmair seit zwanzig Jahren durch Deutschland und, zweisprachig, neuerdings durch Frankreich; in Australien hat Philipp Hochmair, zur Bühnenmusik von Tom Waits, ein Gastspiel mit Büchners “Woyzeck” gegeben; dazwischen rockt er, begleitet von seiner Band Elektrohand Gottes, in einer hinreißenden One-Man-Show die Knittelverse von Hofmannsthals “Jedermann” – am 9. April wird er sein trashiges Sprechkonzert “Jedermann Reloaded” im Casineum Linz und im Mai in einer deutsch-französischen Fassung beim Theaterfestival Saarbrücken vorstellen. Auch “Amerika” und “Der Prozess” nach Franz Kafka gibt Hochmair als fulminante Soloperformance; und im “Faust 1&2″-Marathon in der mit dem deutschen Theaterpreis ausgezeichneten Inszenierung von Nicolas Steman verkörpert er den Mephisto. Er war Ensemblemitglied am Burgtheater, später am Hamburger Thalia Theater. Doch fixe Engagements passen, zumindest derzeit, nicht in sein straff geschnürtes Zeitkorsett.

Denn neben Serien und Theater dreht der gebürtige Wiener einen Film nach dem anderen, manchmal auch parallel, und heimst dafür Preise auf Festivals ein: etwa vor ein paar Jahren den Diagonale-Preis für “Der Glanz des Tages”. Die Regisseure Tizza Covi und Rainer Frimmel hatten Philipp Hochmair gebeten, einfach er selbst zu sein, ein schwieriges Unterfangen, wie er sagt: “Ich war ein Laie meiner selbst.” Zuletzt wurde bei der Berlinale der Film “Kater” des österreichischen Dichters und Regisseurs Händl-Klaus mit dem schwul-lesbischenTeddy Award ausgezeichnet. Hochmair spielt darin, gemeinsam mit Lukas Turtur, ein homosexuelles Liebespaar. Zu Fernsehinterviews und Parties während der Filmfestspiele tauchte er gern in seiner liebsten Fußbekleidung auf: in Clocks. Oder gleich barfuß.

Manchmal läuft er auch in seiner Arbeitskluft durch die Gegend: im Siegfried-Kostüm etwa, samt Schwert und Rüstung, aber dafür ohne Schuhe. Er ist ein verrückter Hund, soviel ist klar. Ein ebenso vielseitiger wie vielbeschäftigter Theater- und Filmschauspieler, einer, der für die Kunst brennt. Und reist. Und rennt. Paris-Hamburg-Wien-Innsbruck-Hamburg-Thionville an der luxemburgischen Grenze in zwei Tagen, dazwischen Kostümproben, Interviews, Synchronisierungen:Klar, geht locker.

Schurian: Sie haben einmal gesagt, Sie möchten brennen.

Hochmair: Ich möchte nicht brennen, ich tu es. Drum hab ich auch immer so heiße Füße und muss aus den Schuhen raus (lacht). Man muss nur aufpassen, dass das Feuer nicht alles drum herum verbrennt in diesem Alltagsmist. Aber mich interessiert kein Alltag. Ich habe keinen Alltag. Deshalb habe ich auch das fixe Engagement in Hamburg aufgegeben. Ich brauche maximale Flexibilität, weil ständig neue Sachen reinkommen. Da kann ich mich nicht groß an Theatern verpflichten.

Schurian: Keine Sehnsucht nach Familie, Frau, Kindern?

Hochmair: Ich kann damit nichts anfangen. Ich bin Künstler mit Leib und Seele. Jeder Versuch, mich häuslich zu machen, scheitert kläglich. Die Kunst ist mein Zuhause, die Rollen sind mein Wald, in dem ich mich erhole. Bei Goethe heißt es: Der Mensch erkennt sich nur im Menschen. Meine Partner, meine Gegenüber sind Künstler, Geistesmenschen, Regisseure, Publikum. Ich genieße es, wenn ich nach der “Werther”-Aufführung großartige Autoren und Regisseure treffen kann. Das ist ein Geschenk! Ich brauche keine Ehefrau. Oder vielleicht viele Beziehungen in alle Richtungen. Ich mag Beziehungen nicht auf ein Vater-Mutter-Kind-System reduzieren. Das habe ich lange genug er- und gelebt: Kleinfamilie, Schule, Pfadfinder, Ministrant. Das ist gegessen für die nächsten vierzig Jahre! (lacht) Jetzt will ich was anderes haben! Exzessives Nomadentum: So könnte man meine Wesensart beschreiben. Und ich reise immer mit leichtem Gepäck.

Schurian: Was ist denn im Köfferchen immer mit dabei?

Hochmair: Kleidung. Texte. DvDs von Filmen, in denen ich mitspiele. Mein Koffer ist eine Art Bauchladen, voll mit Dingen, die ich herzeigen will. Mich interessiert, was die Leute in Frankreich oder Australien zu meinen Filmen sagen. Wenn man das jetzt liest, denkt man sich womöglich, ich sei so wahnsinnig eitel. Darum geht es überhaupt nicht. Ich sehe nicht mich selber, sondern ein Kunstprodukt. Eine komponierte Realität. Je älter ich werde, umso mehr möchte ich von diesen Reisen auch etwas mitnehmen. Die Dinge entstehen ja erst im Echo und nicht in der Erledigung der Aufgabe. Im Theater gibt es ja immer die direkte Auseinandersetzung mit dem Publikum. Beim Film gebe ich das ab. “Kater” etwa habe ich in der fertigen Fassung selbst erst bei der Berlinale gesehen.

Schurian: Waren Sie überrascht vom Ergebnis?

Hochmair: Total, vor allem, da wir ja, mit vielen Unterbrechungen, zwei Jahre gedreht haben.

Schurian: Sind lange Drehzeiten mit so vielen Pausen dazwischen schwierig?

Hochmair: Ich finde es belebend, weil man immer neue Erfahrungen von anderen Arbeiten mitbringt. Auch “Glanz des Tages” wurde ganz zerhackt gedreht, die letzte Szene haben wir zweieinhalb Jahre vor der ersten gedreht – und es blieb auch die letzte Szene, obwohl ich am Ende des Films definitiv jünger aussehe als am Beginn.

Schurian: Ihr Lieblingsregisseur Nicolas Steman nennt Sie einen Triebtäter, Frederike Heller, mit der Sie viel zusammengearbeitet haben, sagt, Sie vögeln den Text. Auch als Körperterrorist wurden Sie schon bezeichnet. Was sind Sie wirklich?

Hochmair: Eine Kombination von allem. Eine Klassensprecher dieser Verrückten, der erklärt, wie es dem Herrn Jedermann oder dem Herrn Johann Schnitzler geht oder was Werther so erlebt hat. Ich bin wie ein Diplomat, ein Kulturattaché, und im Gepäck sind all die Geister, die ich gerufen habe und die mit mir mitrennen, zauberlehrlingsmäßig. Man muss ja ein ganz persönliches Verhältnis zum Text herstellen, sich ganz körperlich damit beschäftigen und identifzieren. Auswendig lernen heißt “by heart” auf englisch und auf französisch “par coeur”. Das trifft es: einen Text von Goethe muss man durchs Herz filtern, bis er verkörpert werden kann. Das ist Schwerstarbeit!

Schurian: Es heißt, Sie seien Legastheniker. Stimmt das oder ist es nur ein guter Werbegag?

Hochmair: Ich wünschte, es wäre ein Schmäh. Jede Lesung, jede Textvorbereitung ist fürchterlich. Ich bereite mich extrem lange vor. Horror! Aber auch wunderbar. Das Handicap wird zum Talent.

Schurian: Warum komprimieren Sie eigentlich so gern Mehrpersonen-Dramen zu Soloperformances?

Hochmair: Man nimmt den ganzen Ballast weg, eine komplexe Geschichte wird, auch durch die Verzerrung, die sich dadurch ergibt, dass es nur einen Darsteller gibt, verständlicher und persönlicher. Der Zuschauer kann sich über den Performer viel besser mit der Dimension der Geschichte identifizieren.

Schurian: Apropos identifizieren: Schauspieler werden oft mit Ihren Rollen verwechselt. Sie spielen in den Vorstadtweibern einen schwulen, fiesen Politiker. Nerven Sie Fragen nach der sexuellen Ausrichtung?

Hochmair:”Kater” ist ja auch ein intimer Liebesfilm mit schönen Liebesszenen. Weder Lukas Tutur noch ich sind schwul. Bei den Vorstadtweibern iste es ja nicht so klar, ob Schnitzler homosexuell ist. Aber es stimmt schon, Juergen Maurer und ich haben die erste schwule Liebesszene im Hauptabendprogramm gespielt. Es ist schon erstaunlich, welche Energie mir da entgegenschwappt. Leute springen mich bei irgendwelchen Festivitäten euphorisch an, weil ihnen diese Liebesszene so gut gefallen hat und es so radikal war. Die sagen dann, was ich für ein toller Schauspieler wäre, weil ich einen Mann küssen kann. Was ist denn das für ein Ansatz, was ist denn das für eine Leistung? Unsinn! Aber in manchen Kreisen in Österreich ist vermutlich “schwul” das schlimmere Schimpfwort als “korrupt” im Zusammenhang mit einem Politiker.

Schurian: Haben Sie, um sich auf die Rolle vorzubereiten, Politiker in ihrem Habitus beobachtet?

Hochmair: Gar nix! Ich habe das Drehbuch gelesen, Anzug angezogen und bin hingegangen. Da gibt’s nichts zu beobachten, das Drehbuch ist einfach saugut geschrieben. Auch bei “Jedermann” gibt es nichts zu studieren. Es gibt den Text, und den gilt es hör- und sichbar zu machen. Ich bin kein Schauspieler, der mit den Leuten lebt, ihre Bewegungen studiert und den Oscar gewinnt, weil er das so transformiert. Ich streife meine Habits ab und stelle mich zur Verfügung. Das ist alles.

Schurian: Früher galten TV-SEriens für ernsthafte Schauspieler als geradezu anrüchig. Die USA haben es vorgemacht, mittlerweile spielen die Besten in Serien mit. Wieso der Wandel?

Hochmair: Peymann hat es seinen Schauspielern sogar verboten! Es posten ja auch Leute auf Facebook, dass sie enttäuscht sind, dass ich so einen Scheiß mache. Aber das ist kein Scheiß. Außerdem spiele ich ja weiter Faust und Jedermann und Werther. Das Lustige ist doch die Vielfalt.



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