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09
Jan

Arik Brauer: Woher ich komme und wohin ich gehe

So, als wäre Kunst nur ein anderes Wort für Leben und Leben wiederum die Summe aller Träume, schaurig wie die Hakenkreuzigung. Schön wie die Baumseele. Poetisch wie der Spaziergang mit Enkelin. “Natürlich ist das erzählerische Malerei”, sagt Arik Brauer. “Aber wenn jemand sagt, das ist Illustration, bin ich auch nicht traurig. Es sind ja Milliarden von unsichtbaren Lebewesen hier im Raum. Diese ganze Welt male ich, meine Phantasie entzündet sich erst, wenn alles da ist.” Und, ja, tatsächlich alles da: Paradiesische Landschaften, Pflanzen, Tiere, Lebenslüste.

Schöpfungsphantasien, Fabelwesen. “Mir geht es um die Komposition. Die ist im Grunde abstrakt.” Letztlich geht es also um die Farbe. Nicht nur auf dem Bild.

“Die Farben meines Lebens” heißt denn auch Brauers Autobiografie, ein berührendes Puzzle aus Erlebtem und Erdachtem. Über seine Wanderjahre schreibt er, als er mit dem Rad halb Europa und Israel erstrampelte; über die Studienzeit, seine Frau Naomi, seine Töchter, über die Pariser Zeit, seine kommunistische Begeisterung und spätere herbe Ernüchterung; den Stalinismus empfindet er eigentlich noch schlimmer als das Hitlerregime. Gemessen an der Zahl der Opfer, verlieh er in seinen Erinnerungen den “ersten Preis der Hölle an Mao Tse Tung”.

Er schildert, wie man ihn 1939 als “Judenbengel” beschimpfte und in eine der Judenschulen steckte, bis 1942 auch die letzte geschlossen wurde. Sein Vater, ein aus Litauen stammender jüdischer Schuhmacher, wurde im KZ ermordet, er selbst überlebte zunächst als Tischlergehilfe im Ältestenrat der Kultusgemeinde, zuletzt in einem Versteck. Seine Beziehung zu Österreich habe das nicht verändert, denn “ich habe ein Verhältnis zu Menschen, nicht zu Ländern. Und ich habe gelernt, dass das Paketeschnüren - die Araber, die Österreicher, die Deutschen - das Leben zwar einfacher macht, aber der Wahrheit noch weniger nahekommt, als wenn man Menschen einzeln beurteilt. Schon im Talmud steht: Jeder Mensch ist eine ganze Welt. Und wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.”

Nein, es war keine gute Zeit, in die er hineingeboren wurde. Der New Yorker Börsenkrach 1929 wirkte bis nach Österreich, die faschistische Heimwehr lehrte die junge Demokratie das Fürchten. Es herrschte sibirische Kälte bis zu minus 30 Grad, Menschen erfroren auf der Straße, als am 4. Jänner 1929 der kleine Erich Bauer das Licht der Welt erblickte: “Wir lebten in einer Zimmer-Kuchl-Wohnung in Ottakring. Heute würde man das als tiefstes Elend bezeichnen. Aber damals waren wir wohlsituiert. Wir konnten im Sommer sogar aufs Land fahren. Im Zimmer stand ein Stutzflügel, wir haben viel musiziert, gesungen, Gedichte gelesen. Nur gemalt hat niemand - außer mir. Ich konnte mit sieben, acht Jahren schon Porträts zeichnen. Bei manchen Besuchen fiel das Wort Wunderkind.”

Verschworene Fünferbande

Einige dieser Blätter hängen übrigens im Stiegenabgang zu seinem Privatmuseum, das er an seine Wiener Gründerzeitvilla angebaut hat und das gegen Voranmeldung besucht werden kann. Hier stehen auch seine jüngsten Werke: Keramik-Skulpturen, seltsame Gnome und Wichte, die ursprünglich als Gartenzwerge konzipiert waren. Bazon Brock wollte sich einmal partout in einer Skultpur wiedererkannt haben. Der Titel: Klugscheißer.

Arik Brauer, immerjunges Multitalent: dreifacher Familien- und vielfacher Großvater. Bühnenbildner. Begeisterter Skifahrer. Friedensaktivist in Israel. Baukünstler, der sich mit einem Wohnhaus in der Wiener Gumpendorfer Straße einen Wunschtraum erfüllte. Sänger, der mit seinen Dialektsongs den Austropop mitbegründete.

Und, natürlich: Arik Brauer, der Maler. Sofort nach Kriegsende bewarb er sich, gerade 16 Jahre alt geworden, an der Wiener Akademie der bildenden Künste, studierte zunächst bei Robin Ch. Andersen, später bei Albert Paris Gütersloh. Seine Studienkollegen: Anton Lehmden, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter, eine verschworene Fünferbande, deren Wiener Schule des Phantastischen Realismus zur ersten erfolgreichen Kunst-Trademark im Nachkriegsösterreich wurde. Sogar Arnulf Rainer sei anfangs ein Fuchs-Schüler gewesen, erinnert sich Brauer. “Aber bald war klar: das 20.Jahrhundert ist abstrakt.”

Vom Publikum wurden die phantastischen fünf wie Popstars verehrt, ihre Gruppenausstellung beispielsweise wanderte von 1953 bis 1964 als Blockbuster rund um die Welt. “Nur die österreichische Kritik hat uns jahrzehntelang geradezu mit Hass verfolgt - oder besser gesagt: gar nicht wahrgenommen. Ich weiß natürlich, warum man uns hier ignorierte: Die österreichischen Kultureliten wollten nach dem Krieg weg vom Image des Zurückgewandtseins, wollten modern sein. Wir aber bezogen uns auf die Renaissance, auf Hieronymus Bosch, auf den Jugendstil, waren also ein Hemmschuh.

Manchmal werden Berechnungen aufgestellt: Wie viele Bilder sind in wie vielen Museen? Da schneiden wir Phantasten schlecht ab. Natürlich gibt es Museen, die Bilder von uns haben - aber verglichen beispielsweise mit Arnulf Rainer, ist das gar nichts. Aber ich habe in meinem Leben etwa 1300 Bilder verkauft. Wenn man sagt, das waren lauter Kitschkäufer, dann ist das natürlich bedeutungslos. Aber wenn man davon ausgeht, dass es Angehörige der europäischen Kulturelite sind, dann kann ich schon ertragen, dass ich nicht im Centre Pompidou hänge.”

Materie und Geist

Jeden Tag malt Arik Brauer unter der Glaskuppel seines Ateliers an seiner detailversessenen Bilder-Welt; derzeit beschäftigt er sich für eine Ausstellung im Wiener Dommuseum im März mit einem seiner Lieblingsthemen, dem Alten Testament. Nein, religiös sei er nicht und Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde eher aus Tradition - und weil sie über den religiösen Aspekt hinaus eine Bedeutung habe als Vereinigung einer Minderheit. “Aber Gott? Das ist nichts. Vielleicht sagt man wie ein Kind: Gott ist ein Mann. Dann bleibt allerdings die Frage, ob er Eier hat oder nicht. An diesen Gott glaube ich nicht. Dass wir sein Ebenbild sind, glaub ich schon gar nicht. Das wäre traurig. Ich sehe zwischen Materie und Geist keinen Unterschied. Ein Atom ist kein kleines Körnderl, sondern ein Prinzip. Ich bin Agnostiker, ich habe mich damit abgefunden, dass ich nicht herausfinden werde, woher ich komme und wohin ich gehe.”

(DER STANDARD/Printausgabe, 03.01.2009)

 



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