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07
Aug

Grasgeflüster im Museum

“Plants and Murders”: Hubert Scheibls Bilder der Natur

Dass sich Besucher die Schuhe ausziehen, vor der Kunst buchstäblich in die Knie gehen, sich gar auf den Boden legen, passiert vermutlich selten. “Gar nie”, präzisiert der Saalaufseher des Museums der Moderne in Salzburg. Aber jetzt, in Hubert Scheibls Ausstellung, passiert genau dies, und zwar oft. Genauer gesagt vor dem elf Meter langen Bild, bedeckt mit Strichen und Knäueln und Kringeln und zartlila Farbklecksen, in diesem einen, kühlen Raum, dessen Boden vollständig mit Gras bedeckt ist. Echtem, wachsendem, duftendem Gras. Kultur als bezähmte Natur. “Eigentlich”, sagt Scheibl, “ist es ja traurig: An der Natur rennt man vorbei, es sei denn, sie ist im Museum.” Kunstabgrasen sozusagen.

Mitten in der grünen Museumswiese ein überdimensionierter Krokodilskopf aus Styropor, übersät mit den Zahlen 0 und 1, Verweis auf das binäre Zahlensystem, Symbol für den als Reptilienhirn bezeichneten Hirnstamm, der wiederum zuständig ist für Grundfunktionen wie Atmen, Herzschlag, Darmtätigkeit. Eins, null. An, aus. Drinnen, draußen. Fressen, Gefressenwerden: Die elementare Triebfeder der Evolution ist das gedankliche Konstrukt für Scheibls Kunstwelt, die sich über eine Etage des Museums erstreckt.

Chaos und Ordnung

Plants and Murders heißt die von Kurator Veit Ziegelmaier in enger Kooperation mit dem Künstler komponierte Schau, jeder Raum eine Art Gedanken-Kunst-Beet: Bestäubung und Betäubung, Pilze und Gehirn, Rorschachtest und Blütenpracht, Expansion und Widerstand, Kosmos und Erhabenheit. Eins, null. Himmel, Hölle. Tod, Leben. Natur, Kultur. Transparenz, Tiefe. Chaos, Ordnung - und dazwischen das Ringen des Künstlers um Erkenntnis und Wahrheit. Entfernte Seelenverwandtschaften zu Cy Twombly sind spürbar oder auch zum US-Meister des Action-Painting, Jackson Pollock. Der sagte, jeder gute Maler male, was er ist: “Ich male Natur nicht, ich bin Natur.” Abstrakte Malerei als bildgewordene Körperspur, Bewegung als Form: “Die Hand”, sagt Scheibl, “lügt nicht”.

Scheibls Hand schafft, ob in Öl oder Aquarell, viele und vieldeutige Welten, “sonst überlebt man den Planeten nicht. Niemand hält ein Universum alleine aus.” Maisgelbe Farbfelder; Eis- und Schneestürme; aufplatzende, vulvagleiche, blutrote, lila Blüten; mystisches Dunkelzackenland; heitere Klecksografien, metallische Farbexplosionen; meerblaue Schlangen, mit raschem, weitem Gestus auf die Leinwand geworfen. My Echoes, My Shadows and Me heißt eine Serie an Röntgenbilder erinnernder Farbschatten. Nein, Scheibl malt keine Nature morte, kein Stillleben, sondern die Natur der Natur.

Schicht um Schicht, Sicht um Sicht steigt Scheibl hinab in die Untiefen und Abgründe seiner menschenlosen, pflanzen- und tierreichen Weltenräume. Sein skulpturales Werk mischt Scheibl, geboren 1952 in Gmunden, mit Pflanzenmodellen von Vater Robert und Sohn Reinhold Brendel aus dem 19. Jahrhundert.

Man muss genau schauen in Scheibels Pluriversen, auf wegweisende Titel darf man nicht hoffen. Manche Scheibls bleiben titellos, andere versieht er augenzwinkernd mit Titelfallen, wenige sind so eindeutig wie die Skulpturenserie Hard 2 B One: eine ausgequetschte Farbtube, zwischen übermächtigen Holzkonstruktionen eingeklemmt - das ums Überleben kämpfende Künstler-Ich. (DER STANDARD, 7.8.2013)



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