Philipp Hochmair: “Es geht um das Menschsein an sich” | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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04
Aug

Philipp Hochmair: “Es geht um das Menschsein an sich”

Im Frühjahr wurde der Film Der Glanz des Tages mit dem großen Diagonale-Preis ausgezeichnet. Die Regisseure Tizza Covi und Rainer Frimmel hatten den Schauspieler Philipp Hochmair gebeten, einfach er selbst zu sein, ein schwieriges Unterfangen, wie er sagt: “Ich war ein Laie meiner selbst.” Der von Nicolas Stemann 2011 als Koproduktion von Thalia-Theater und Salzburger Festspielen inszenierte Faust 1 & 2 -Marathon mit Hochmair als Mephisto wurde soeben beim Theaterfestival in Avignon bejubelt. Insgesamt spielt Philipp Hochmair derzeit zwölf Rollen, unter anderem ist er der Dorfrichter Adam in Kleists Der zerbrochne Krug oder Der gestiefelte Kater. Das Kinderstück, das er anfangs fast als Degradierung empfand, zählt heute zu den Höhepunkten seines beruflichen Lebens, “so lustig und entgrenzt und entfesselt”. Nun kommt in Salzburg ein kühnes Rollenpaket dazu: Im Rahmen des Young Directors Project (YDP) gibt er in der Regie von Bastian Kraft den Jedermannals One-Man-Show.Schurian: Wie entstand die Idee zum Solo “Jedermann”?

Hochmair: Joachim Lux (Intendant des Thalia-Theaters, Anm.) hat oft so eruptive Einfälle, zumindest mit mir. Jedenfalls liefen wir uns zufällig auf dem Gang über den Weg, und er sagte recht unvermittelt: “Du musst Jedermann spielen.” Ich war einigermaßen überrascht. Ein Jahr später sagte Bastian, er wolle mit mir gern einen Monolog für das YDP machen, darauf schlug ich ihm vor, doch den Jedermann zu machen. So funktioniere ich, sehr intuitiv und spontan. Wir arrangieren das Spiel erstmals, und dann muss etwas passieren, was das System infrage stellt.

Schurian: Klingt anstrengend für den jeweiligen Regisseur. Und für Sie auch.

Hochmair: Weiß nicht. Bastian Kraft benötigt mich ja gerade deswegen. Er baut immer ausgeklügelte Systeme und braucht dann wen, der sie zerstört. Nicolas Stemann genauso, wobei der weniger ein Systemarchitekt ist, der baut ja ständig um mit seinen Mitarbeitern, “verbiegt” es, dreht es um. Meine Qualitäten sind nicht ausgeschöpft, wenn der Regisseur einer fertigen Fassung mich Schauspieler eher dressieren will.

Schurian: Wie würden Sie Ihre Qualitäten beschreiben?

Hochmair: Ich stelle mich gern zur Verfügung und schaue, was passiert. Der Widerspruch aus Chaos und Ordnung, zwischen den Direktiven, die da sind, und dem eigenen Impuls: Das sind die Spannungsfelder, in denen mein Theaterspielen passiert. Ich suche einen flexiblen Kosmos, in dem alles möglich ist.

Schurian: Was bedeutet das auf “Jedermann” umgemünzt?

Hochmair: Mich hat es interessiert, einen Text, der immer ganz brav gemacht wird und von dem man so bestimmte Bilder hat, zu beleben. Wie man den modernkriegt. Diese Mischung aus Heute und Gestern fasziniert und interessiert mich.

Schurian: Und der erhobene Zeigefinger des Stücks?

Hochmair: Den sehe ich gar nicht so. Wenn ein entmenschlichter Boss es hinkriegt, zu bereuen und sich zu fragen: Wer bin ich eigentlich geworden? Wenn er innehält und dafür Vergebung bekommt, ist das doch ein toller Moment.

Schurian: Vergebung von wem: Gott? Sich selbst? Den anderen?

Hochmair: Von sich selber. Aber ich würde auch sagen, es geht um das Menschsein an sich. Unser kapitalistisches System fordert und fördert gewisse Verhaltensweisen, die man privat gar nicht an den Tag legen würde. Es ist eher ein Bewusstmachen, wie ein Mensch in diesem System überhaupt funktioniert. Ich merke es ja selber, ich arbeite seit 15 Jahren ohne Pause, das hat Konsequenzen: Ich habe keine Familie, bin nur unterwegs. Wenn Sie so wollen, bin ich völlig “entkulturisiert”.

Schurian: Bereuen Sie das?

Hochmair: Ja, in Momenten der Schwäche auf jeden Fall. Als ich in Salzburg ankam, dachte ich: Wir kriegen da gar nichts hin. Weil Kamerateams dabei waren, mussten wir uns aber am ersten Probenabend zusammenreißen, und wir haben die erste halbe Stunde mal so richtig hingeknallt. Das war super - und ich war wieder genesen. Doch wenn Sand im Getriebe ist, es um Details geht, dann kommen wieder so komische Gefühle auf, die man nicht haben will. Um das Abtöten der Gefühle, um der Leistung willen, geht es letztlich, und dass der Mensch an sich, jedermann eben, sich dessen bewusst werden muss.

Schurian: Wie genau halten Sie sich an den Originaltext?

Hochmair: Total! Kein Fremdtext, nix. Höchstens ein paar Sätze gestrichen. Nur Jedermann als Dialog mit sich selber. Ein Stück mit verschiedenen Rollen ganz allein zu machen, ist schon ein Experiment. Zuletzt, beim Zerbrochnen Krug, habe ich gezweifelt, ob man alle Rollen braucht, mein Impuls war, es würden zwei reichen, Adam und Eva zum Beispiel. Aber für Bastian Kraft, der aus der Postdramatik kommt, war es das Experiment, alle Rollen zu besetzen.

Schurian: Sie waren Mitglied des Wiener Burgtheaters. Warum sind Sie von dort weg?

Hochmair: No comment (lacht). Es ist ein tolles Haus. Die Größe, die Bedeutung, die Tradition, die Möglichkeiten: Das gibt es auf der ganzen Welt nicht. Aber man kann da auch total kaputtgehen. Ich habe da mal einen Torquato Tasso gemacht, der intern nicht so als Erfolg gesehen wurde, und ich habe zu spüren bekommen, wie das ist, wenn die einen fallenlassen.

Schurian: Ist das spezifisch fürs Burgtheater?

Hochmair: Es ist ein Unterschied, ob der Geist des Systems, des Unternehmens, der Stadt auf Innovation ausgerichtet ist oder ob es nur um Perfektion geht. Ich habe das Gefühl, am Thalia-Theater in Hamburg ist das Umfeld eher auf Experimente angelegt, man kann auch im Kleineren etwas ausprobieren oder schaffen. An der Burg muss man schon viel perfekter funktionieren. Sie ist ein perfekter Veredelungsort, wo man Dinge, die man anderswo erfunden hat, zur Hochform aufkochen kann. Vielleicht ist es gut, wegzugehen, woanders was auszuprobieren und wieder zurückzukommen, um es an der Burg zu veredeln.

Schurian: Lesen Sie Kritiken?

Hochmair: Natürlich! Man zieht sich für den Faust beispielsweise für zehn Monate zurück, dann veräußert man das und will schon wissen, was es bedeutet. Ich finde, Leute, die gut schreiben, können es einem erklären. Ich stelle etwas her, intuitiv, mit vielen Antennen in der Luft, schaffe ein Rätsel, dessen Lösung ich nicht weiß, und bin dankbar, wenn das jemand interpretiert. Wenn Menschen innovativ sind und offen und kreativ im Betrachten, interessiert mich das wirklich. ( DER STANDARD, 6.8.2013)

Philipp Hochmair (40), in Wien geborener Film- und Theaterschauspieler, ist Ensemble-Mitglied des Hamburger Thalia-Theaters. Er arbeitet(e) mit Regisseuren wie Peter Zadek, René Pollesch, Nicolas Stemann und Friederike Heller. 



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