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Andrea Schurian

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01
Jan

Niue: Kokosnuss-Insel in der Südsee

“Ahh! Wart ab. Du wirst staunen!” Faamas kohlrabenschwarze Augen blitzten vergnügt, als er mich zu einer Riffwanderung einlädt; dass er dabei grinst wie über einen schlüpfrigen Witz, hätte mich natürlich misstrauisch machen können. Hat es aber nicht. Schließlich vertraut man netten Tourismusmanagern auf entlegenen Inselchen. (Und Niue ist wahrlich entlegen, ein klitzekleiner Punkt nur im südlichen Pazifik).

Es ist Ebbe, als wir um fünf Uhr abends aufbrechen, mit hochgekrempelten Hosenbeinen und rutschfesten Sneakers. Sandgelbes Sonnenlicht verwandelt die glitzernden Tümpelchen und glitschigen Steine des Korallenriffs in ein märchenhaftes Miniatur-Universum aus Weltmeeren und Berggipfeln. Und dann noch eine Biegung und noch ein rutschiger Stein und hoppala! und “psst”, zischt Faama und. Ja. Danke schön, Überraschung gelungen. Bis zu zwei Meter lange Seeschlangen umzingeln uns, mit leisem Klatschen lassen sie sich ins Wasser gleiten, flink schlängen sie über Korallendächer, ineinander verknäult verschwinden sie in Riffhöhlen. Hunderte. Tausende.

Fest schließe ich die Augen, nie mehr will ich sie öffnen, nie mehr, aber der Alptraum hat sich bereits in mein Hirn eingeschweißt. Ausgerechnet ich mit meiner ausgeprägten Schlangenphobie, die sogar harmlose Regenwürmer und Blindschleichen miteinschließt, ausgerechnet ich befinde mich auf Niues Hauptnistplatz der Seeschlangen. “Giftig wie die grüne Mamba!”, preist Faama unnötigerweise die exotische Sehenswürdigkeit seiner Insel, „aber auf Niue ist noch niemand an einem Schlangenbiss gestorben. Die Mäuler sind zu klein zum Zubeißen.” Ja dann. Auf Zehenspitzen - nur auf keine Schlange steigen! - trete ich den Rückzug an. “He!”, schreit Faama aufgekratzt hinter mir her, “he! Du mußt keine Angst haben! Das hier ist das Paradies, die Schlangen beißen nicht. Es gibt keine Raubtiere, keine mordsüchtigen Menschen. Wie im Paradies kommt die einzige Gefahr vom Baum: denn nur eine herunterfallende Kokosnuss kann dich töten!”

Haha. Zur Gemütsberuhigung meditiere ich die Sonne an, die sich zum Schlafengehen bereitmacht. Zauberlicht. Stille Idylle. Keine Menschenseele weit und breit. Kein Radio, kein Fernsehen als Geräuschkulisse. Langsam, ganz langsam verliert die Landschaft ihre Farbe, bleicht aus wie ein alter Film.

Niue, das größte gehobene Korallenatoll der Welt, ist eine wunderliche Erlebniswelt, ein archaisches, kostbares Fundstück für Natur- und Ruhefreaks. Kein Massentourismus, keine Nobelhotels, Clubs und Yuppies, statt dessen dichter Dschungel und Regenwald, den sich die Insel wie eine dicke, grüne Pudelmütze überzustülpen scheint. Bizarre Natur-Skulpturen aus Tuffgestein ragen in die Landschaft. Grünspanige Gnome und winzige steinerne Prinzessinnen besiedeln geheimnisvolle Kalk- und Tropfsteinhöhlen. Atemberaubende Schluchten stürzen sich geradewegs ins Erdinnere. Kleine Buchten träumen still vor sich hin. “If you look for beaches, go to Fidjis”, hatte uns Faama zum Willkomm gedichtet - und mich geradewegs zur Polizeistation geführt.

Die liegt, wie übrigens alles von Bedeutung, an der Main Road von Alofi, Niues Hauptstadt. Im kleinen Wachzimmerchen kriege ich, gegen Vorlage meines Führerscheins, Bezahlung von zwei Neuseelanddollars und ein paar Takten Smalltalk über die europäische Großwetterlage eine Art Kurzzeitführerschein.

In knapp vier Stunden lässt sich das 258 Quadratkilometer kleine Inselchen umrunden: auf planen Asphaltstaßen entlang der Küsten, auf ausgewaschenen Schotterwegen ins größtenteils unbewohnte, urwaldverwucherte Inselinnere. Ab und zu eine entgegenkommende Blechschüssel mit vier Rädern und einer Hupe. Ami-Schlitten. Niegelnagelneue Motorräder und hypermoderne Mountainbikes. Einsame Gehöfte am Wegrand, dörfliche Ruhe.

Nur in Liku herrscht aufgeregte Festtagsstimmung, ich bin mitten in eine Haarschneide-Zeremonie geraten, dieses Initiationsritual für kleine niuanische Jungen ist Gesellschaftsereignis und Familien-Fundraising-Programm gleichermaßen. Die geladenen Gäste müssen ihre Wertschätzung mit Bargeld beweisen - und werden dafür, je nach Geldspende, mit Essbarem bedankt. Die Schule von Liku ist mit Luftballons, bunten Bändern und glutroten Blüten feierlich geschmückt. Aufregung! Gedränge! Sitigi und Huggard sind die Stars des Tages. Unter priesterlichen Beschwörungsformeln und begleitet von dunklen, wehmütigen Spirituals, werden die Zöpfe der beiden kleinen Buben abgeschnipselt. “Viel Essen, viel Ehr’”, raunt mein Nachbar anerkennend, als draußen auf der Wiese unter großem Hallo die Spendeneinnahmen bekannt werden: 41 Schweine, 52 Lämmer, 160 tiefgefrorene Hühnerkeulen, 1 ganze Kuh, 500 Taroknollen, zwei Schwertfische und 90 Dosen Corned Beef werden unter den 100 Verwandten und Bekannten aufgeteilt. 30.000 Neuseelanddollars, schätzt mein Informant, bleiben der Familie als Reingewinn.

“Ich gebe, damit du gibst” ist funktionierendes Lebens- und Freundschaftsprinzip der rund 2000 Einwohner Niues. Und obwohl ich nichts gespendet habe, steckt mir die Mutter der Jungen für meine Weiterfahrt ein kleines Jausenpaket zu.

Wütend peitscht ein Orkan das Meer in hohen Wogen gegen die Küste; doch das Atoll hält dem Sturmangriff tapfer stand. „Der Felsen” nennen die Niuaner liebevoll ihre kleine Insel, die, nach polynesischen Mythen, von Maui aus dem Meer gefischt worden sein soll. Früher hieß sie auch: Nukututaha - alleinstehende Insel, oder Fonuagalo - vergessene Insel. Captain Cook allerdings sprach mißmutig von Savage Island - Insel der Wilden: dreimal war ihm 1774 die Landung an der Westküste mißlungen. Mit schrecklichen Kriegstänzen, so überlieferte er der Nachwelt, hätten ihn die Insulaner verscheucht. Auch wäre ihm zu Ohren gekommen, dass sie den Feinden Arme, Beine und Köpfe abschneiden und diese, zur Abschreckung, mit Gedärmen an die Bäume binden würden. Und er berichtete weiters von unvergesslich blutroten Zähnen, die dem Inselvolk das grauenerregende Aussehen von Kanibalen verliehen, eine perfekte Täuschung: die Zähne waren nur mit dem Saft wilder Bananen gefärbt.

Auch Trixi, die freundliche Alte, die mich freitags am Markt von Alofi erst neugierig beäugt, ehe sie mich mit Niues Marktordnung bekannt macht, hat nur mehr rote Zahnstummel im Mund, Resultat allerdings nicht von wildem Bananensaft, sondern von jahrzehntelangem Kaugenuss der Betelnuss. Mit flinken Schritten trippelt sie nun vor mir her, morgenmüde Frauen hocken wie Gralshüterinnen neben ihren Naturschätzen: Stilleben aus Gemüse, Früchten und Gewürzen. Gustierende Käufer. Feilschen. Eifrig zeigt sie hierhin und dorthin, “Taaro ist unser wichtigstes Gemüse”,erklärt sie und auch, dass Kokosnusslobster bei ihnen Palmdiebe heißen. Es ist sieben Uhr früh, und vor der Markthalle nimmt ein Fünf-Mann-Blasorchester Aufstellung, tut - aber klingt nicht - so, als spiele es nach Noten, und intoniert eine insbrünstige Mischung aus Trauermarsch und Kirchtagsmuik.

Die schrammigen Melodien und wütendes Hundegekläff begleiten meinen Entdeckungsspaziergang durch den 3000-Seelen-Ort. Da bellende Hunde auf Niue auch beißen, vertreibe ich sie nach Art des Landes: mit Steinwürfen. Ich spähe in Nebengässchen und in Hauseingänge, ich inspiziere den Gemischtwarenladen, die Bank und das Postamt. Großzügig beschließe ich, Faama seine Schlangensache zu vergeben, vermutlich hat er es ja gut gemeint und besuche ihn in seinem Büro. “Schöne Überraschung!”ruft er zweideutig und bugsiert mich zu seinem Jeep. Diesmal bleibe ich misstrauisch. Vor allem, als er mich mitten im Huvalu Forest, dem Regenwald, aus dem Auto scheucht. Ein schmaler Weg führt durchs Dickicht aus Feigenwürgebäumen, Gummipflanzen, wilden Brotfruchtbäumen, Palmen und Pandanußbäumen. Wie fransig gewordene Gardinen verhängen Lianen, knorrige Luftwurzeln der Banyan-Bäume und Spinnennetze aus Fäden, dick wie Spagat, die Fernsicht.

Und dann abrupter Szenenwechsel. Aus klüftigem Korallgestein breitet sich ein faszinierendes Zwischenreich zwischen Himmel und Hölle, zwischen Dschungel und Meer. Tobend und brüllend kracht die dunkelschwarze See gegen die feinziselierten gotischen Spitztürme aus Tuff, schießt in milchweißen Fontänen meterhoch und weht schließlich als feiner Sprühregen zurück zur Erde. Vorsichtig wage ich mich bis an den Rand einer Tuffsteinkathedrale vor, und da, tief eingegraben in die Felslandschaft und erreichbar nur für mutige Kletterfexen: eine kleine Ruhe-Oase aus samtweißem Sand - die “Togo-Schlucht”, in deren Mitte sich mit lässiger Eleganz eine Kokospalme im Wind wiegt. “Siehe da, Kokosnüsse”, sagt Faama. Und das heißt in seiner Sprache so viel wie: “Niu-e“.



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