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Andrea Schurian

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06
Mai

Fragmentier-Bar

Eines Nachmittags - ich hatte soeben eines meiner allerersten Artikelchen zuende gedichtet und litt unter anfallender Schreiblosigkeit - lag meine Karriere plötzlich glasklar vor mir: Ernestina Hemingway!…..Rauhe Stimme, gute Klaue!…Verwegene Nächte in schummrigen Bars, der gepflegte Rausch als stimulans für literarische Bestseller und romantische Affären!…

Das schüchterne Schäflein vom Land ließ ich ab sofort und samt blauen Faltenröcken hinter mir. Zöpfe ab, Unschuld ade. Als einsame Wölfin in Jeans- und Lederkluft streifte ich fortan durch die Kneipen, umschwärmt von trunkenen Flaneuren und schönen Nachtfaltern; hingerissen mischte ich mich unter die berauschten jungen Götter, amüsierte mich an ihren herrlich genialen Geistesblitzen. Vorstadt, Innenstadt, und dann hinaus in die Welt, London, New York, Berlin, Paris, meine nächtlichen Anlegestellen waren im Trend und hatten Profil. Begierig studierte ich die vielen Facetten der Lebenskünstelei.

Ich rauchte Marlboro und Camel und beides unentwegt. Nur mit dem gepflegten Rausch tat ich mir schwer. Schon nach dem klitzekleinsten Wodka kriegte ich Sehstörungen und Sodbrennen von einem einzigen Whisky sour; ein Brandy verwandelte meine Zunge in einen Legostein, ein koscheres Schnäpschen legte meinen Kreislauf lahm.

Aber ich entwickelte autodidaktische Überlebensmethoden und kann, in aller Bescheidenheit, von weltweiten Erfolgserlebnissen berichten: Zu den gebrannten Weinen bestellte ich mir stets ein Glas Leitungswasser, kippte im Bedarfsfall die scharfen Drinks behende auf den Fußboden oder in die nächste Blumenvase, füllte statt dessen klares Wasser ins Schnapsglas und - allez ex!- soff mit diesem edlen aqua pura so manch begnadeten Alkoholiker ins Delirium. Ich indes, beschwingt von meinen billigen Tricks, zog weiter in die nächste Bar, und weiter, und weiter, und Schnapsleichen pflasterten meinen Weg.

Ach…Ernestina…Welch falsche Ansprüche für wahre Träume! Doch, doch, die Stimme war dank unmäßigen Zigarettenkonsums schon merklich rauher, der eine oder andere harmlose Flirt hätte sich (mit viel Phantasie) als romantische Affäre umdeuten lassen. Aber statt literarischer Bestseller schuf ich bloß ein paar lausige Romanfragmente. Als mir dies nach nächtelangen, ernüchternden Überlegungen - meine Lieblingsbars hatten Sommersperre und ich daher Heimprogramm - keulenschlagartig klar wurde, verordnete ich mir sofortige Imagekorrektur.

Angeregt von meinem Lieblingsdrink würde ich nunmehr als Lady Bailey durch Wiens nächtliche Szenerie flattern. Aristokratische Kühle! Noble Extravaganz! Elegante Spinnerei! Statt Struppi-Look Dauerwellen, teure Fähnchen aus Brokat und Seide statt second-handlicher Sparsamkeit; und vor allem neue Barschaften, in Neo-Klimt’scher Manier bis an den Plafond mit Gold und Girlanden bemalt, Brunnen- und Klaviergeplätscher im Hintergrund und im Vordergrund jede Menge beste Gesellschaft in fortgestrittenem Alter.

Dialektisches in jeder Hinsicht lag mir nun fern, kichernd nippte ich an meinen Bailey’s, warf Augenaufschläge fürs gemischte Doppel in die Runden und hielt nicht, was ich versprach. Schließlich war ich im Dienst: Für mein neuestes Buchprojekt sammelte ich eifrig alle Augen-Blicke ein, die sich zwischen Plüschpölstern und Spiegelwänden verloren, ich fing jedes Wortspiel auf, das meine Ohren streifte und registrierte präzise jede verhängnisvolle Affäre. In Gedanken strickte ich nämlich an einem packenden Adel-Epos, das selbst Schmachtmeisterin Barbara Cartland in den Schatten stellen sollte.

Abend für Abend wühlte ich unter den Puppis und Burschis nach hitlistenverdächtigen Edelmenschen - und fand an einem der blankgeputzten Messingtresen die Busenfreundschaft fürs halbe Leben: Contessa Tiramisu, wie ich ausschließlich von literarischem Forscherdrang in die Bars geschwappt, ein bißchen übergeschnappt und - frei nach ihrem Lieblingsdessert - mitten im Doppelleben stehend. Ihr damaliges schriftstellerisches Leitbild: Courts-Mahler. Wie passend.

Klar, daß wir nur mehr à deux ins schummrige Kerzenlicht der Pianobars eintauchten, um an unserem Gemeinschaftsroman zu feilen. Fast wären wir sowas wie Johanna und Maria Simmel geworden. Der Champagner prickelte, nicht aber unsere erotischen Schreibversuche. Als wir eines Nachts über unseren ambitionierten Liebesergüssen einschlummerten und Herr Franz zuvorkommenderweise sein Klaviergeblänkel dämmte, kam uns die traumhafte Erkenntnis:”The lady is a vamp!”

Ehrlich, unsre femme-fatalen Übungen am Bar-Gerüst hatten Klasse! Statt hüstelnd-näselnder Baronesserl-Patina laszive Schminke aus dem Marlene Dietrich-Fundus. Blasse Belezze in tiefschwarzen Edelklamotten. Silberblicke, Armreifen- und Wimpergeklimper für die Barhocker links und rechts von uns.

Formschön, extracool, bizarr, ungewöhnlich - die Bars, die wir nun nächtens auf sündig hohen Absätzen anstöckelten, hatten Stil: nämlich unseren. Klar, daß wir nun ausschließlich auf Martini Dry standen. Handgerührt. Was sonst. Literarisch gesehen schwebten uns schärfere Sachen vor: eine Art Hite-Report; Erica Jong auf österreichisch; Anais Nin der 90er Jahre….Ach, nun waren wir beide die berauschten jungen Göttinnen voller Geistesblitze, unglaublich weise, herrlich amüsant.Aber in meiner nachtschwärmerischen Entwicklung von Ernestina H. zur femme fatale ging leider einiges zu Bruch: Champagnergläser, allerhand Romanfragmente und gute Freunde, Morgenmenschen mit bürgerlicher Karriere, nette Mädchen, saubere Jungs.

Die nachtlangen Fußmärsche durch die lokale Szene zu atemberaubend fand auch jener Mann, mit dem ich über Jahre Tisch, Bett und so manchen Barhocker geteilt hatte; er kam mir einfach eines Morgengrauens abhanden. Seine Hinterlassenschaft: Jack Londons Autobiographie. “…..Aber diese Welt verschenkt nichts. Man bezahlt nach eisernen Regeln - für jede Stärke, die man gewinnt, die entsprechende Schwäche; für jede Höhe eine angemessene Tiefe…”

Depression Blues… Katerfrühstück… Melancholie… Aber dann! Nichts wie denn! Mit der besten aller Freundinnen zelebrierte ich nun allabendlichen Hexensabbat. “Lauter Deppen!” wurde fröhliches Motto - und Arbeitstitel für unser geplantes Sachbuch. Denn natürlich hatten wir auf unseren Höhenflügen und Abstürzen das wahre Leitmotiv unserer Barsüchte nicht vergessen: Literaturnobelpreis, Bestseller - oder doch wenigstens eine kleine Lokalsensation.

Milchbubis, Machos, samtäugige Softies, prominente Steher, ältere Herren, junge Schnösel dienten uns bloß als willkommene Studienobjekte - Barflys, die wir mit lässigen Handbewegungen fortwedelten, sobald unser wissenschaftliches und literarisches Interesse an ihnen gestillt war. “Frauenpower” hieß unser Gebot zur späten Stunde, da wir schon so viel voneinander wussten und nur mehr wahre Originale, traurige Schmierenkomödianten, gute Künstler, witzige Plauderanten und sentimentale Lebefrohs um uns dulden mochten. Von den Cocktails waren wir übergangslos bei den Digestifs gelandet, dazwischen taktvolles Schweigen; glutvolles Geblödel; Selbst-Inszenierungen; und, natürlich, intellektuelle Tändelei mit dem Herrn hinter der Bar.

Apropos. Sperrstunde? So what! Unser philosophischer Dialog mußte noch zuende geführt werden. Ein bißchen in alten Kitsch-Zeiten schwelgen, ein bißchen in die Zukunft schnuppern, einsame Herzen auffangen, die durch die Bars schwirren und ihre Tender verwirren.

Wir schlüpften in jenes Kostüm, das uns gefiel. Wir strandeten unkomplexiös an Beisel-Schanken, gemeinsam mit alten Tschecheranten und jungen Nostalgikern.

Schwülstige Einsamkeit, wehmütige Sehnsüchte, Komödie der Eitelkeiten, Fegefeuer der Traumgespinste, verlorene Träume, neben uns fällt einer vom Hocker, Bargeflüster, verstohlenes Händchenhalten, trunkene Verliebtheit, eine Frau lacht tödlich beleidigt, noch ein Gläschen, gerötete Bäckchen, aufreizende Posen, Eis klirrt in den Gläsern, die Primadonna besteigt den Thron, bittere Eifersüchte, dichter Zigarettenqualm, der Hahn im Korb hört endlich auf zu krähen, rauschendes Fest, unerkannt unter lauter Bekannten, schrille Töne, gedämpftes Licht….oh, es brauchte noch etliche Forschungsreisen in die vielfältige, kleine, große Welt der Bars, ehe wir uns vom Fragmentarischen zum Ganzen vorgetastet und getestet hätten. Wir haben schließlich Zeit. Ein Leben lang.

Postskriptum 2004: Tja. Erstens kommt es anders. Und zweitens, als frau träumt.

Keine Sentimentalitäten. Nur so viel: die Freundschaft ging, ebenso wie so manches Weinglas, auf diesen Reisen in die Nacht in die Brüche. Meine Sesshaftigkeit auf Barhockern ist Geschichte.

Ich änderte mein Abendprogramm. Statt in Bars stehe ich nun nächtelang an Betten und gebe Solokonzerte für eine Stimme und zwei Zuhörer. Auch meine poetischen Ambitionen habe ich auf ein jüngeres Publikum eingestellt. Ich vermisse alles und nichts. Mit zwei Kindern ist jederjeder Abend nach wie vor ein Hexensabbat, randvoll mit wilden Abenteuern, tragischen Eifersüchteleien, hinreißenden Augenblicken, zerspringenden Gläsern, berstenden Tellern, rauschenden Festen, gedämpften Tönen, bitteren Tränen und zarten Küssen. Wunder-bar jeder einzelne Augenblick.



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