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28
Aug

Thomas Oberender: “Europa ist ein großes Venedig geworden”

Der Schauspielchef der Salzburger Festspiele über Mythen, seine Pläne für die nächste Saison, das Leben und den Tod.

A.Sch: “Langweilig” , “elitär” , “faschistoid” : Wie fanden Sie denn die Festspiel-Analysen von Kušej, Bachler und Marlene Streeruwitz?

Oberender: Allesamt eitel und entbehrlich. Und wenn es eine linksreaktionäre Haltung gibt, dann ist das sicher die von Frau Streeruwitz. Sie ist selbstgefällig und demagogisch, und wenn sie einen Gulag gleich hinter Wien errichten dürfte, wären darin nicht nur alle Yachtbesitzer interniert, sondern auch all ihre Tölpel und Trottel, die den Jedermann besuchen. In einer solcherart bereinigten Welt wie der von Frau Streeruwitz möchte ich nicht leben. Das ist einfach nur traurig.

A.Sch: Aus dem großen üppigen Theatertopf: Nach welchen Kriterien holen Sie wen wann warum nach Salzburg?

Oberender: Es gibt übergeordnete Themen, wie jenes des Mythos für 2010. Andererseits gibt es Ärgernisse: Warum wurde nie Heiner Müller in Salzburg gespielt? Warum war hier nie das Debütstück von Bernhard zu sehen oder Peter Handke seit zwanzig Jahren nicht mehr? Wir haben in Salzburg, vom Ursprungsgedanken her, einen Kulturauftrag - es geht nicht um die Quote wie beim Privatfernsehen, sondern wir müssen, um es simpel zu formulieren, Bedeutungen produzieren. Und zwar auf eine Weise, die der spirituellen Gründungsidee der Festspiele entspricht - hier wird die Glaubensfrage jährlich neu gestellt. Reinhardt hat dafür die Formate des Theaters neu definiert, und in dieser Richtung suche ich weiter.

A.Sch: Peter Stein, Klaus Maria Brandauer, “Ödipus auf Kolonos” : Viele Mythen für eine Ihrer großen Jubiläumspremieren nächstes Jahr?

Oberender: Es ist interessant, dass Sie Stein, Brandauer und Ödipus in einem Atem nennen - tatsächlich umgibt die erstgenannten Personen ja beinahe eine mythische Aura. Sie sind Monumente ihrer eigenen Lebensgeschichte, und ich stehe als Nachgeborener vor diesen Denkmälern und spiele mit dem Schauder, dass es sie noch gibt. Sie sind nach wie vor Figuren von monströser Verdrängung, zugleich aber von geradezu kindlicher Ernsthaftigkeit - sie tun inzwischen nur, wofür ihr Herz schlägt. Und das schlägt noch ziemlich schnell. Insofern begegnen sich in Sophokles’ Ödipus auf Kolonos zwei große Protagonisten der Festspielgeschichte, und für alle drei gilt, dass jeder Mythos ein inzwischen längst vergessenes Märchen wäre, wenn er sich nicht für uns Zeitgenossen auf erhellende Weise vergegenwärtigen ließe.

A.Sch: Und das Kehlmann-Stück handelt wovon?

Oberender: Seit einem Dreivierteljahr schreibt Daniel Kehlmann streng geheim ein Stück im Auftrag der Salzburger Festspiele. Und ich werde dieses Geheimnis jetzt nicht lüften. Außer, dass es ein Stück wird, von dem ich schon jetzt sagen kann: typisch Kehlmann.

A.Sch: Die Festspiele sind ein produzierendes Festival. Wie groß ist der finanzielle Druck?

Oberender: Ich kann den Wahlkampf-Dank der Politiker an die Steuerzahler nicht mehr hören! Fünfundsiebzig Prozent unseres Etats erwirtschaften wir als Festspiele selbst. Daher auch diese irrsinnigen Kartenpreise. Jede andere Kulturinstitution ist zu siebzig bis neunzig Prozent subventioniert - wir kriegen lediglich ein Viertel des Budgets von der öffentlichen Hand. Die 2,5 Millionen Euro, die wir z.B. von der Stadt bekommen, zahlen wir an Steuern zwanzigfach zurück - von der sogenannten Umwegrentabilität ganz zu schweigen. All der Glamour, der um die Festspiele entsteht, steht in frappantem Widerspruch zur eigentlichen Finanzsituation des Betriebs. Kein Cent der öffentlichen Zuwendungen geht inzwischen in die künstlerische Produktion. Wir produzieren von unseren Einnahmen, der Rest geht in die Infrastruktur. Markus Hinterhäuser und ich müssen haarsträubende Überschüsse erwirtschaften, die ins Opernbudget fließen, und dieses System ist definitiv in zwei Jahren am Ende. Wir können die Kartenpreise nicht erhöhen, keine Spielstätte schließen und auch die Spieldauer nicht verkürzen. Das große Erwachen wird kommen; die feenhafte Gabe von Helga Rabl-Stadler, private Mittel für die Festspiele zu generieren, hat die Grenzen der Zauberkunst längst erreicht. Spätestens wenn Jürgen Flimm in Berlin ist, wird das große Nachdenken bei Alexander Pereira einsetzen, und dann schlägt die Stunde der Politik, oder die Festspiele verlieren ihr Gesicht, das wir kennen.

A.Sch: In der bildenden Kunst war unlängst China angesagt, jetzt ist Indien dran: Wird das Theater mittlerweile auch so verortet?

Oberender: Das sind Marktphänomene. Wie die Welle der britischen Dramatik Anfang der 90er. Von all diesen Wellen bleibt das eine oder andere bedeutende Stück zurück, das wir ohne diese Welle nie entdeckt hätten. Aber im Grunde heißt das: Wir sind der Strand der alten Welt. Europa ist ein großes Venedig geworden. Sie kommen, uns zu bestaunen. Die Zukunft ereignet sich anderswo.

A.Sch: Sie haben dieser Tage Ihren Essayband “Leben auf Probe” (Hanser Verlag) präsentiert. Leben wir nicht alle auf Probe?

Oberender: Wir leben alle nur auf Probe, das stimmt. Aber diese Probe ist unser Leben. Nur das Theater kann das Leben auf den Tag einer Premiere verlegen und an ihm die Summe all dieser Erfahrungen anbieten und zugleich das Abenteuer, dieses Leben ein zweites Mal zu erleben - und zwar bewusster, freier, gelöster. Im Theater dürfen wir uns zurückholen, vergegenwärtigen, neu gestalten, was im Leben immer schon vorbei und unkorrigierbar ist, wenn wir begreifen, was wir getan haben. Für uns, die in der Echtzeit des Daseins gefangen bleiben, ist hingegen jeder Tag eine Premiere.

A.Sch: Theater verhandelt das, was wir im Leben gern verdrängen: große Gefühle, Schuld, Tod …

Oberender: Theater ist Totenbeschwörung. Immer wieder treten sie auf - Ödipus, die Judiths, Raskolnikows. Eine endlose Wiedergängerei. Nur wir müssen abtreten. In der Begegnung mit ihnen können wir vielleicht ein bisschen begreifen von dem Geschenk, das Leben heißt: sein Kind heranwachsen sehen, ein paar Sätze schreiben, die Sinn machen, den gemähten Rasen riechen. Und dann ist der Nächste dran. Das Theater erinnert mich an diese Unaufhörlichkeit, daran, dass man nur für kurze Zeit besetzt ist in diesem Spiel. Und das ist traurig. Und macht zugleich in einer fast verzweifelten Weise Lust auf dieses Spiel.


Zur Person:

Thomas Oberender, geboren 1966 in Jena, war leitender Dramaturg in Bochum und mit Matthias Hartmann Kodirektor am Schauspielhaus Zürich. Seit 2006 ist er Theaterchef der Salzburger Festspiele.

 



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