Serapionstheater: Bäume, die in den Himmel wachsen | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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29
Mrz

Serapionstheater: Lebensreise durch ein Meer an Träumen

“Anagó. Eine Serapions Fabel” im Wiener Odeon ist Theatermitbegründerin Ulrike Kaufmann gewidmet, die im Dezember gestorben ist. Ein Probenbericht

Noch fehlen die Projektionen. Das Licht stimmt noch nicht ganz. Und auch am riesigen Bühnenbild, einer Fantasieweltkarte voller unbekannter Inseln und Kontinente, die in Grande Tristeza, dem Meer voller Tränen, schwimmen, müssen Max Kaufmann und sein Künstlerteam noch fleißig Hand anlegen.

Und doch. Schon lässt sich in den Proben erahnen, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler des Serapionstheaters die Urfragen des Menschseins stellen, voller Poesie, sanft, leise, mit ausdruckstarken Bewegungen. Und mit erstaunlich viel gesprochenem Text, wie zum Beispiel Auszügen aus Maximilian Woloschins “Die Pfade Kains”; und Gesängen, etwa Goethes von Marcelo Cardoso Gama vertontes “Wanderers Sturmlied”. Von Gott und Revolution hört und sieht man, von Geist und Materie, von Aufruhr und Wahnsinn, von Gewissen und Lebensknoten, von Himmel und Erde. Und von Traurigkeit. Von furchtbarer Traurigkeit.

Ethische Instanz

Angeregt von Chamissos “Adelberts Fabel”, ist “Anagó. Eine Serapions Fabel” kein Requiem für Ulrike Kaufmann, aber eine Hommage an die Theater-Mitbegründerin, die im Dezember 2014 ihrem Krebsleiden erlag. “Natürlich steht die Trauer über den großen Verlust über allem, nicht nur für mich, sondern für das gesamte Ensem ble”, sagt Erwin Piplits. “Sie war eine ethische Instanz. Sie war eine Seele des Theaters. Wir alle haben Seelen, eine – ihre – ist jetzt weg.”

Vierzig Jahre lang haben Kaufmann und Piplits in einer Kunst- und Lebenspartnerschaft gemeinsam Theater gemacht, zunächst das Pupodrom, später das Serapionstheater im ehemaligen Vindobona-Kino am Wallensteinplatz. Und schließlich 1988 das Odeon in der ehemaligen Produktenbörse in der Wiener Taborstraße, aufrecht, kämpferisch, allen kräfteraubenden (kulturpolitischen) Widrigkeiten und budgetären Engpässen zum Trotz.

“Unsere Arbeit war immer auch mit Verzicht verbunden, mit Scheitern. Aber ohne zu scheitern, kann man nichts machen. Wer nur wahrnimmt, dass wir von rechts nach links und wieder zurück gehen, der nimmt unsere Entwicklung nicht wahr. Aber wer sich darauf einlässt, was wir tun, wird sehen, dass wir einen unglaublichen Weg zurückgelegt haben von unseren Anfängen bis heute”, sagt Piplits.

Zweieinhalb Millionen Euro hatte die Adaptierung der Brandruine über die Jahre verschlungen, 18 Prozent der Kosten steuerte die Stadt Wien bei, vom Bund gab’s nichts. Das ist bis heute so geblieben – der Beirat des Bundes habe keine der Produktionen als förderungswürdig eingestuft: “Wir würden den künstlerischen und wirtschaftlichen Kriterien nicht entsprechen. Wir kriegen nur aus der Ermessungsschatulle einen Brocken”, sagt Piplits. Die künstlerischen Überlebenssorgen hätten Ulrike Kaufmann in ihrem Abwehrkampf gegen die Krebserkrankung geschwächt, davon ist Piplits überzeugt.

Woher kommen wir, wohin gehen wir? Wie rasend schnell vergeht das Leben? Wie ist es, wenn wir die Masken fallenlassen? Sind wir einander Stütze – oder Last? Schwimmen wir gegen den Strom, passen wir uns an? Sind wir uns selbst das Maß aller Dinge? Und, ja, wie oft straucheln wir und stehen auf, unverdrossen, mutig, immer und immer wieder?

Ja, “Anagó” ist auch eine Erzählung über die Existenz des Theaters im Allgemeinen und des Serapionstheaters im Besonderen. Immerhin gibt es bis Ende 2015 von der Stadt Wien 800.000 Euro als Grundsubvention fürs Haus, weitere 150.000 Euro, um den Kreditrahmen bzw. die Betriebsmittelbereitstellung abzubauen. “Vielleicht ist die Förderung um zehn Prozent gestiegen”, sagt Piplits. “Aber im Grunde sind wir auf dem nahezu gleichen Betrag wie vor zwanzig Jahren. Durch die kommunale Subvention 2015 können wir produzieren, aber mit dem Risiko, dass wir irgendwann nicht mehr leben können.”

Werbung ist in dem Budget nicht drin. Plakatieren kostet zu viel, das Geld geht für Betriebskosten und Gagen drauf. “Aber die beste Werbung ist sowieso immer noch der Mundfunk.”

Doch auch da registriert Piplits Gegenwind: “Es gibt ein Mobbing gegen uns. Vom wem das ausgeht, weiß ich nicht. Ich will auch keine Schuldzuweisungen machen. Das hat sich verselbstständigt.”

2010 erhielten Kaufmann und Piplits den Nestroypreis fürs Lebenswerk, vor einem Jahr das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien. Die Insignien will Piplits allerdings erst dann mit nach Hause nehmen, wenn die Existenz des Odeon gesichert ist: “Nur geehrt, aber nicht gefördert: Das geht nicht.”

Ordnung ins Chaos

Ein Gezerre um die Übernahme des Theaters hat längst eingesetzt; doch die Mietverträge sind an den Verein gebunden: “Das Odeon kann nur als freies, von_Kunstschaffenden geführtes Theater weitergeführt werden.” Wenn der Verein diesen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann, muss er aufgelöst werden. Und dann, sagt Piplits, “freut sich der Hausherr. Denn dann fallen die Räumlichkeiten an ihn zurück. Und er würde blitzartig die Miete hinaufsetzen.”

Nebenan zerschnipseln die Bühnenbildner ein Riesengemälde von Max Kaufmann in zehntausende Einzelteile. Fügen die Teile wieder zu einem Mosaik. Ein ordnendes Chaos. “Der Verstand ist das umgekehrte Schöpferische”, heißt es bei Woloschin: “Und er zergliederte das Universum nach Maß und Zahl.” Nun wird das Serapions-Universum für die Premiere neu zusammengesetzt. “Und die Ulli”, sagt Piplits, “die Ulli ist sowieso da.” ( DER STANDARD, 10.3.2015)



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