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30
Mrz

Serapionstheater im Odeon: Bäume, die in den Himmel wachsen

“Anagó. Eine Serapions Fabel” im Wiener Odeon ist eine Hommage an Theatermitbegründerin Ulrike Kaufmann, die im Dezember gestorben ist. Erwin Piplits, der selbst auf der Bühne steht, vermisst das Welt-Chaos.

Schleppenden Schritts, rastlos, durchpflügt der Wanderer, auf eine knorrige Zwille gestützt, eine verwirrende, chaotische, beängstigende, aber auch wunderschöne, von allerlei Fabel-, Engel- und sonstigen Wesen bevölkerte Welt. Stolpert. Stürzt. Steht auf. Wird gestützt. Verirrt sich. Scheitert. Geht gegen den Strom. Versucht, auf dem Rücken liegend wie der Käfer aus Kafkas Verwandlung, zappelnd wieder auf die Beine zu kommen. Murmelt auf seinem Schicksalsweg immer wieder ein Gedicht von Ossip Mandelstam.

Wie überhaupt Texte, Gedichte, Gedanken, Lieder überraschend oft in die melancholische Lebensreise einfließen, von Maximilian Woloschin, von Goethe, Hölderlin und Pierre-Jules Théophile Gautier: “Ach! Ich habe im Herzen eine furchtbare Traurigkeit.” Diese Gedichtzeile klingt wie das Leitmotiv für weite Teile dieses Theaterabends im Odeon, bei dem Prinzipal Erwin Piplits erstmals nach 24 Jahren wieder selbst auf der Bühne der ehemaligen Getreidebörse steht.

Basierend auf Chamisso

Anagó. Eine Serapions Fabel, basierend auf einer Fabel des Naturforschers und Dichters Adelbert von Chamisso (1781-1838), ist die erste Produktion nach dem Tod von Piplits’ Lebens- und Arbeitspartnerin Ulrike Kaufmann. Aus dem von ihr über mehr als vierzig Theaterjahren geschaffenen Fundus stammen auch die für das Serapionstheater so typischen Kostüme: gefältelte, plissierte, wippende Kunstwerke aus (farb)rauschendem Stoff.

Die künstlerische Leitung teilt sich Piplits nun mit Sohn Max Kaufmann. Von ihm (sowie von Eva Grün und Mirjam Salzer) stammt das hochpoetische Bühnenbild: eine vielschichtige Fantasiewelt aus ineinanderfließenden Prospektmalereien, präzise getimten Projektionen und Animationen. Eiswelten, die in der Sonne schmelzen, Bäume, die in den Himmel wachsen, Meere aus Tränen und Traurigkeit, geheimnisvolle Zufluchtsinseln, zerbröckelnde Welten.

Anagó kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie aufbrechen, hinaufgehen. Woher kommen wir, wohin gehen wir? Sind wir uns selbst das Maß aller Dinge? Davon erzählt das Serapions Ensemble, zu betörend schöner und von Piplits sensibel gewählter Musik (unter anderem von Antonio Vivaldi, Niccolò Paganini, Henryk Górecki, Erik Satie, dazu kommt georgische Volksmusik).

Wie Puppen an unsichtbaren Fäden hampelnd, tanzend, springend, rennend, singend, träumend, grimassierend erzählen die Schauspielerinnen und Schauspieler von der verführerischen Schönheit des (beflügelten) Geistes; von Chaos und Ordnung, von Macht und Ohnmacht, von Genius und Materie, von der Vermessung der Welt und dem Blick in den (inneren) Himmel.

Schmelzendes Eis

Der Lebensweg beginnt und endet mit Schostakowitschs schwermütigem Walzer Nr 2. Nebelschwaden. Das Bühnenbild eine Eislandschaft, die in der Sonne zu schmelzen beginnt. Die Darstellerinnen und Darsteller auf der eigens für diese Produktion ausgeliehenen Drehbühne tragen weiße Masken: “Am Anfang war der Aufruhr, der Aufruhr war gegen Gott und Gott war der Aufruhr. Und alles, was ist, begann durch den Aufruhr” (Woloschin, Die Pfade Kains).

Später werden sie mit meterlangen Linealen auf abgezirkelten Bahnen aneinander vorbeihuschen, gegen den Strom, mit der Masse, sorgfältig darauf bedacht, niemandem zu nahe zu kommen. Und dann doch: Gemeinsam ist man weniger allein.

Und, ja: Wie viel Platz steht einem eigentlich zu auf dieser (immer berechnender werdenden) Welt?  (erschienen am 24. 3. 2015)

www.odeon-theater.at



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