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Andrea Schurian

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02
Jun

Cy Twombly: Der romantische Symbolist

Immerhin. Flüge sind gebucht, Zimmer reserviert. Aber ob Cy Twombly morgen auch - wirklich? wirklich!? - hier sein wird zur Ausstellungseröffnung und beim Abendessen ihm zu Ehren, da hat man im Mumok bis zuletzt leise Zweifel. Schließlich eilt dem scheuen Künstler der Ruf voraus, trotz Zusagen lieber doch nicht zu kommen. Oder sich unter die Vernissagegäste zu mischen und, unerkannt, wieder zu verschwinden. Und mit Wortspenden ist er noch zurückhaltender als sein deutscher Künstlerkollege Gerhard Richter. Bei Twombly ist sie - auch - eine Folge seiner Erziehung. “Als ich aufwuchs”, erinnert sich Twombly in einem seiner raren Interviews, “musste ich meinen Eltern mit ‘yes, ma’m’ und ‘yes, sir’ antworten. Es war verpönt, über sich selbst zu reden.” Also: schweigen.

Seinem Erfolg tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil.Twomblys Bilder, die einen Kritiker einmal “entfernt an verwüstete Bettlaken” erinnert haben, gehören zu den teuersten weltweit, einige erzielen Spitzenpreise im zweistelligen Euro-Millionenbereich. Im soeben veröffentlichten Kunstkompass 2009 rangiert Twombly auf Platz 23, was ihm allerdings herzlich egal sein dürfte: “Mir ist nicht wichtig, was andere Menschen sagen. Jahrezehnte kümmerte es niemanden, was ich machte. Ich hatte meine Freiheit. Ich war gut geschützt.” Jedenfalls besser geschützt als eines seiner Bilder. Wohl, weil sie nicht an den Meister herankam, machte sich eine junge Künstlerin an und über dessen Werk her, entkleidete sich in einer Ausstellung vor ihrem Lieblings-Twombly und drückte, splitternackt, ihren knallroten Kussmund auf die 4 x 16 Meter große Allegorie auf die Vergänglichkeit. Twombly reagierte äußerst entspannt auf die liebessehnsüchtige Beschädigung seines (auf zwei Millionen Dollar geschätzten) Bildes: Diese Wirkung seiner Kunst habe ihm durchaus gefallen, ließ er wissen.

Geheimnisvolle Satzfragmente

Und jetzt also die Twombly-Personale im Mumok: Sensations of the Moment, eine Sensation für Wien. Aufregend, verwirrend, großartig. Kunst aus dem Nullpunkt der Moderne. Langstielige, fragile Skulpturen, in weiße Farbe getauchte Fundstücke aus Holz und Bronze. Collagen. Zerfließen von Farbe und Form. Wie absichtslos dahingewischte Wortfetzen, verwirrende Zahlenreihen, sexuelle Anspielungen und Symbole, geheimnisvolle Satzfragmente, nervöse Zeichenstriche, blasse Farbknäuel, wie von Kinderhand auf Schultafeln oder auf Leinwände gekritzelte Referenzen an antike Mythologien und abendländische Literatur.

Über die Ebenen vier und sechs im Mumok erstreckt sich diese beachtliche Zusammenschau, 200 Werke aus allen Schaffensphasen: Nicht nur den weltberühmten Wortmaler Twombly wird man in Wien endlich näher kennenlernen dürfen, sondern auch den poetischen Bildhauer und Objektkünstler, sowie, überhaupt erstmals in einem Museum, den Fotografen Cy Twombly. Seit den 50er-Jahren fotografiert Twombly sein Lebensumfeld, auch seine Bilder und Objekte und bearbeitet mitunter, einer Art Medienmix gleich, die Fotografien mit Farbe.

Expressionismus, Neo Dada, Pop und Minimal Art, Graffiti, Konzept- und Objektkunst, Fotografie und nun - als programmatisches Spätwerk - Rückgriffe auf frühere Phasen und Formen: Was beliebig klingen könnte, ist die eindrucksvolle Immerfortschreibung einer konsequenten und komplexen Auseinandersetzung mit der Zeit und ihrer Kunst.

“Wenn ich arbeite”, erklärte Twombly einmal, “arbeite ich sehr schnell. Doch die Vorbereitungen dauern oft bis zu einem Jahr. Ich bin auch nicht sehr sensibel, was die Farbe anlangt. Die Form interessiert mich mehr als die Farbe. Ich nehme sie meist in ihrer primären Bedeutung: Grün für den Wald. Rot für Blut. Braun für Erde.”

Geboren wurde der “romantische Symbolist”, wie er sich einmal selbst bezeichnete, am 25. April 1928 als Edwin Parker Twombly in Lexington im Süden der USA. Sein Vater, ein Profi-Baseballer, vererbte ihm den Spitznamen Cy - den er seinerseits seinem malenden Sohn Cy Alexander weitergeben sollte.

Vergangenheit als Quelle

Nach Kunststudien in Boston, Washington und New York landete Twombly 1951/52 am legendären Black Mountain College in North Carolina, damals Nabel der Avantgarde. Seine Lehrer: Franz Kline und Robert Motherwell, seine Studienkollegen: Jasper Johns und Robert Rauschenberg. Mit ihm bereiste Twombly erstmals Europa; ein paar Jahre später übersiedelte er endgültig nach Rom, fasziniert von römischer und griechischer Mythologie: “Für mich ist die Vergangenheit die Quelle, denn alle Kunst ist im Wesentlichen zeitgenössisch.”

1959 heiratete der junge Amerikaner die römische Aristokratin Tatia, ihr Bruder Bruno de Franchetti zählte zu Twomblys ersten Förderern und Sammlern. So erfolgreich die frühen Ausstellungen in Italien waren, so enttäuschend verlief die erste große Schau bei Leo Castelli in New York: Es war die Blütezeit der Pop Art, Twombly verkaufte kein einziges Bild. Auch eine Ausstellung im Whitney Museum 1979 floppte: Zu europäisch, zu lyrisch, zu verschlüsselt, befanden die Kritiker. Erst Mitte der Neunzigerjahre eroberte Cy Twombly mit einer grandiosen Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art auch die amerikanische Szene.

Twombly, ein Wanderer zwischen den Welten: Nur noch selten lebt er in seiner 700-Quadratmeter-Wohnung in einem römischen Palazzo in der Via de Monserrato, ein Restaurant im Erdgeschoß lässt ihm keine Ruhe. Zumindest drei Monate im Jahr lebt und arbeitet er in seinem Haus in Lexington, die restliche Zeit pendelt er zwischen seinem Renaissance-Palazzo in Bassano und einem ehemaligen Kloster in den Hügeln von Gaeta, einem Hafenort am Tyrrhenischen Meer: “Ich bin ein mediterraner Maler. Mir gefällt die Vorstellung vom Nordländer am Mittelmeer.” Bis 11. 10.

Veröffentlicht am2.5.2009 im Standard

 



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