Peter Konwitschny: "Dummheit hat ja so praktische Seiten!" | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

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30
Jul

Peter Konwitschny: “Dummheit hat ja so praktische Seiten!”


Spätes Salzburg-Debüt für Peter Konwitschny: Der Radikal-Regisseur inszenierte Wolfgang Rihms “Die Eroberung von Mexico”. Ein Gespräch über Kunst und Gott, Dirigenten und Publikum, Dummheit und Werktreue.

Sie haben einmal gesagt, Ihre Haltung zum Theater sei, je höher die Gagen und je höher die Kartenpreise, nicht kompatibel. Wie ist das in Salzburg, wo beides hoch ist?Peter Konwitschny: Tja, was soll ich sagen. Es wird sich herausstellen, wenn das Ding losgelassen wird. (lacht) Es kann ja schon sein, dass unter dieser Event-Oberfläche einiger Zweifel steckt, der bestätigt wird durch meine Arbeit. Aber vielleicht wollen die mich gar nicht alle in die Hölle stecken.

“Die Eroberung von Mexico” ist Ihr Salzburg-Debüt. Haben Sie bei der Inszenierung auch das Festspielpublikum im Auge?

Konwitschny: Nein. Natürlich sind da auch ein paar Maden im Speck, aber es sind nicht alle dumm. Ich glaube nicht, dass ich ihnen eins reinwürgen muss. Das wäre ja auch überheblich.

Gibt es so etwas wie Werktreue, der Sie sich verpflichtet fühlen?

Konwitschny: Es gibt die Treue dem Sinn nach; und die Treue dem Buchstaben nach. Wenn man nur dem Buchstaben nach treu ist, kann man den Sinn nicht erfahren. Man muss Regieanweisungen für heutige Menschen übersetzen und umsetzen. Aber dafür sind viele zu blöd.

Sie beobachten die Opernszene sehr kritisch, vor allem den Hang zum Wahren, Reinen, Schönen …

Konwitschny: … ja, gepaart mit Dummheit. Dummheit hat ja so praktische Seiten! Denn wenn ich dumm bin, muss ich mich mit dem Stück erst gar nicht lange auseinandersetzen. Da geht es nur darum,welche prominenten Namen ich besetzen kann. Was auf der Bühne passiert, ist nicht mehr wichtig. Es muss bloß mit dieser falschen Moral “anständig” sein. Bis in die 1970er-Jahre waren Intendanten Theaterleute. Danach sind immer mehr Manager in diese Position gekommen, die vom Inhalt nicht mehr viel Ahnung haben. Die müssen nur schauen, dass die Budgets nicht überschritten werden, die Zuschauerzahlen stimmen und am Abend, wie es so schön heißt, der Lappen hochgeht.

Konstatieren Sie eine Zunahme des bürgerlichen, harmlosen Unterhaltungstheaters?

Konwitschny: Nicht das bürgerliche, sondern das Idiotentheater nimmt zu. Diese Bürger, die noch etwas wussten und Bildung hatten, die konnten auch unangenehm werden. Aber die waren wirklich besser als Idioten, die gar nichts mehr verstehen – außer, wo es die billigsten Klamotten gibt, da wieder ein Schnäppchen, da wieder eine neue App. Es sind nur mehr wenige in der Lage, Anteil zu nehmen, Empathie zu empfinden. Und dann starten die Freunde der Toten Oper eine Kampagne, die Inszenierung wird abgesetzt, der Regisseur stigmatisiert.

Man kann sagen, Ihre Karriere ist mit Skandalen gepflastert.Wollen Sie provozieren?

Konwitschny: Ich fühle mich der Theaterästhetik verpflichtet, die seit den alten Griechen gilt, nämlich dass es relevant sein muss für die Polis. Natürlich weiß ich, dass das, was ich mache, provoziert. Aber ich will nicht provozieren. Doch wenn meine letzte Stunde gekommen ist, möchte ich sagen können, dass ich meinen kleinen Beitrag geleistet habe, damit mehr Wahrheit zwischen den Menschen ist. Denn die Wahrheit ist heilend.

Wie lange bereiten Sie sich auf eine Inszenierung vor?

Konwitschny: Diesmal hatte ich wenig Zeit, da ich für Luc Bondy eingesprungen bin. Sonst plus/minus drei Jahre. Das ist die schönste Zeit einer Inszenierung, wenn man noch ganz frei ist, vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Man muss sich ja nur vorstellen, wie komplex die Stücke sind. Das sind Welten! Ich muss den Raum herstellen, die Menschen anziehen, überlegen, wie die miteinander kommunizieren. So wie der liebe Gott das leere All gefüllt hat.

Arbeiten Sie von Anfang an eng mit Dramaturgen, Bühnenbildnern?

Konwitschny: Unbedingt! Wir treffen uns mehrfach für einige Tage, und da gibt’s nichts als dieses Stück, das ist großartig. Jeder ist alles, der Bühnenbildner ist Dramaturg und Regisseur, ich muss Bühnenbildner und Dramaturg sein. Wir sind ganz gleichberechtigt beim Eindringen in das Stück.

Wie wichtig ist, wer dann am Dirigentenpult steht?

Konwitschny: Sehr wichtig! Wahrscheinlich hatte ich immer Glück mit meinen Dirigenten. Oder, anders gesagt, ich hatte Glück, dass mein Vater Dirigent war und ich von Musik schon etwas weiß. Da haben die Dirigenten nicht so viel Angst.

Angst wovor?

Konwitschny: Dass sie von der Kritik angezählt werden, weil sie das Schlimmste nicht verhindert haben: was der Regisseur da mit dem Komponisten anstellt. Der Dirigent müsste, fordern zumindest die Kritiker, eine Art Polizist sein, der sagt: ‘Halt! Das geht nicht.’ Einige führen sich ja auch genauso auf.

Hatten Sie solche Polizisten-Dirigenten?

Konwitschny: Nein! Da würde ich die Regie sofort zurücklegen. Das sind ja reaktionäre Leute. Ingo Metzmacher dagegen steht voll in der Welt, das finde ich wichtig für unsere Arbeit. Aber es gibt Dirigenten, die sind nicht in der Welt, die nehmen von vielem keine Notiz, sind so saturiert und privilegiert, dass sie gar nicht mehr wissen, was los ist. Und die wollen uns vormachen, was Musiktheater ist? Nee!

Was ist Musiktheater?

Konwitschny: Es gibt Dirigenten, die regen sich auf, weil auf der Bühne in einer Sterbeszene ein Stuhl umfällt. Aber was soll das? Wir machen keine CD, sondern Theater. Da brauche ich Partner, die das Theater lieben.

Schauen Sie sich auch Arbeiten von Kollegen an?

Konwitschny: Immer seltener. Aber das hängt mit meinem Leben zusammen: Die Abende, die man noch hat, werden langsam rar, um das Rauschen des Windes zu hören oder die untergehende Sonne zu sehen. (Der Standard, 25.7.2015)


Peter Konwitschny (70) wurde fünfmal zum Regisseur des Jahres gewählt. Der in Frankfurt geborene Sohn eines Dirigenten ist berühmt für kontroversielle Interpretationen an den wichtigsten Opernhäusern, u. a. auch in Wien und Graz.




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