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Andrea Schurian

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13
Dez

Louis Begley: “Ich denke nicht viel nach”

Der New Yorker Bestseller-Autor Louis Begley war Ehrengast von Literatur im Nebel in Heidenreichstein, seine Frau Anka Muhlstein, eine mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Biographin, hielt einen Vortrag.

Alle sind da: die Schauspielerinnen und Schauspieler, der Ehrengast aus New York, aus dessen Werk sie zwei Tage lang lesen werden. Nur einer fehlt so konsequent wie schon in den letzten Jahren: der Nebel, der dem hochkarätigen Festival im nördlichen Waldviertel den Namen gibt, in dessen Zentrum heuer Louis Begley steht.

1991 veröffentlichte der renommierte New Yorker Anwalt seinen ersten (autobiografischen) Roman: Lügen in Zeiten des Krieges handelt von der Kindheit eines jüdisch-polnischen Buben während des Dritten Reichs. Sieben Jahre später schrieb er sich mit einem Helden des Mittelmaßes an die Spitze internationaler Bestsellerlisten. Schmidt, so heißen Held und Buch, war der erste Band einer Trilogie - es folgten Schmidts Bewährung (2000) und Schmidts Einsicht (2011). Zuletzt ist bei Suhrkamp der Roman Erinnerungen an eine Ehe erschienen.

Schurian: Frau Muhlstein, wie schwierig ist es, über den eigenen Mann zu referieren?

Muhlstein: Ich würde nie über ihn schreiben, reden geht gerade noch. (lacht) Es ist übrigens das erste Mal. Natürlich ist es nicht leicht, über jemanden zu reden, der einem so nah ist, das Persönliche und das Professionelle nicht zu vermischen.

Schurian: Wissen Sie, was Ihre Frau sagen wird?

Begley: Nein, ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich sage Ihnen etwas: Ich denke überhaupt nicht viel nach. Und ich liebe Überraschungen!

Muhlstein: Ich werde über Sprache reden - was es für Louis bedeutet, dass er seine Muttersprache verloren hat und dass er mit mir bilingual lebt. Wir sprechen französisch miteinander. Ich werde über die französische Kultur in seiner Arbeit reden. Und über seine Leidenschaft für Dante, die in seinen Romanen immer wieder aufblitzt.

Schurian: Herr Begley, Sie beherrschen Deutsch, sprechen es aber nicht. Ist es schmerzhaft für Sie, die Sprache der Nazis zu hören?

Begley: Nicht mehr. Als ich in der US-Armee in Deutschland diente, fand ich es hassenswert. Der Grund, warum ich meinem Deutsch erlaube zu verschwinden, ist, dass ich es nicht hören, geschweige denn reden wollte.

Schurian: Was ist jetzt anders?

Begley: Mein Verhältnis zu Deutschland: Ich wurde alt, die Deutschen wurden jung. Die Schuld geht nicht von den Vätern auf die Söhne über. Dennoch frage ich mich seit meiner Kindheit, warum mich ganz Deutschland und Österreich töten wollte. Ich will es verstehen, aber ich kann es nicht. Ich verstehe, wenn man seinen Nachbarn hasst. Auch ich bin von bösen Gefühlen nicht verschont. Ich verstehe sogar Antisemitismus. Wenn jemand keine Juden mag: okay. Das ist nicht sehr sympathisch, aber immer noch ein riesiger Unterschied zu dem Ansinnen der Nazis, alle Juden zu töten. Nicht nur die von nebenan, die vielleicht die schönere Wohnung haben. Sondern alle, die man kriegen konnte. Das ist monströs und übersteigt meine lebhaftesten Vorstellungen. Aber es ist die Wirklichkeit. Ich kann das nicht beiseiteschieben und so tun, als sei es mir egal. Andererseits sind Sie nach dem Krieg geboren. Sie sprechen Deutsch. Fein. Goethe hat auch Deutsch gesprochen, Rilke, Thomas Mann.

Schurian: In “Ehrensachen” beschreiben Sie die Arroganz der Wasps - White Anglo-Saxon Protestants - und wie schwierig es für Sie als Juden …

Begley: … Nicht für mich! Für meine Romanfigur. Aber es stimmt: Ich war zwischen 1950 und 54 in Havard, es war der Höhepunkt des Ostküsten-Antisemitismus. Doch ich hatte Glück - vielleicht, weil mein Vater den Namen änderte; oder war es mein außergewöhnlicher Charme? (lacht) Jedenfalls interessierte sich niemand für meine Vergangenheit.

Schurian: Ihr erstes Buch veröffentlichten Sie mit 58, danach arbeiteten Sie weiter als Anwalt und schrieben parallel. Wie viele Stunden hat denn ein Tag für Sie?

Begley: Na, 24. (lacht) Für mein erstes Buch nahm ich eine Auszeit, ich konnte also immer schreiben, wenn ich nicht gerade mit meiner Frau sprach, was ich sehr gerne mache. Danach schrieb ich bis zu meiner Pensionierung 2004 nur an den Wochenenden und im Urlaub. Aber ich habe jetzt gar nicht mehr Zeit als vorher mit einem Fulltimejob im Büro. Vielleicht arbeite ich jetzt langsamer, schaue länger aus dem Fenster.

Schurian: Sie werden oft gefragt, wie viel von Ihnen in Ihren Figuren steckt. Aber wie viel von den Figuren bleibt in Ihrem Leben?

Begley: Das ist eine verflixt schwierige Frage. Über Schmidt, mit dem ich drei Bücher lang lebte, denke ich immer noch viel nach. Manchmal scheint es mir, es wäre nützlich - für Schmidt -, wenn er wiederkehren würde. Diese Verbindung zu anderen Figuren habe ich nicht - aus gutem Grund …

Schurian: … weil Sie fast alle getötet haben …

Begley: Stimmt. Außer den Protagonisten von Ehrensachen habe ich sie umgebracht. Gut, Philipp und Lucy in Erinnerungen an eine Ehe bleiben am Leben, doch sie verlassen kaum das Haus. Aber Schmidt ist lebendig. Es gibt eine Fünfzig-fünfzig-Chance, dass das nächste Buch eines über ihn ist.

Schurian: Machen ihm andere Charaktere Konkurrenz?

Begley: Ja, der Protagonist meines soeben beendeten Buches, das 2015 erscheinen wird, hat einiges Potenzial. Also: er oder Schmidt. Ich werde mich vor Weihnachten entscheiden. Ich sagte schon, ich denke nicht viel nach. Wenn, dann in der Nacht, wenn ich wachliege. In diesen Stunden der Schlaflosigkeit, wenn ich über mein ganzes Leben nachdenke, scheint mir, ich wüsste, wie es mit Schmidt weitergeht.

Schurian: Nämlich wie?

Begley: Wie? Das werde ich Ihnen nicht sagen. Ich überlege mir aber auch schon die Struktur des anderen Buches. Normalerweise, wenn ein Roman fertig ist, verschwinden die Figuren: Goodbye und auf Wiedersehen.

Schurian: Frau Muhlstein, Sie schreiben über sehr unterschiedliche historische Persönlichkeiten, über Königinnen und deren Söhne, über Napoleon, Balzacs Völlerei. Wann ist Ihr Interesse geweckt?

Muhlstein: Wenn ich eine Verbindung zu meinem Leben finde. Die Mutter-Sohn-Geschichte ist naheliegend. Bei Napoleon sagten mir meine Kinder, die in New York zur Schule gingen, er sei wie Hitler. Das war für mich als Französin ein Kulturschock. Oder der Marquis de Custine (1790-1857), der als Erster seine Homosexualität offen lebte, dessen Vater während der Revolution getötet wurde und der in Russland brillante Analysen über das Zarenregime schrieb. Da war die Verbindung: Wie beginnt man ein Leben neu, nachdem alles zerstört wurde - wie Louis.

Schurian: Oft sind Frauen die ersten Kritiker ihres Mannes. Umgekehrt auch?

Muhlstein: Ich schreibe auf Französisch, ich lebe in New York. Es gibt wenig Leute, denen ich mein Manuskript anvertrauen würde. Louis ist mein erster und wichtigster Kritiker. Für ihn ist das, glaube ich, anders. Er hat ein paar Freunde, deren Meinung er schätzt.

Begley: Aber du bist die Erste und Wichtigste! Und wissen Sie, ich liebe meine Frau wirklich sehr. Wenn ihr etwas gelingt, bin ich glücklich. Und wenn das, was sie geschrieben hat, anerkannt wird, bin ich noch glücklicher. Da sie sehr gut ist und viel Anerkennung bekommt, bin ich ein sehr glücklicher Mann. (DER STANDARD, 19.10.2013)

Louis Begley (80) wurde als Ludwig Begleiter in Polen geboren, er überlebte die Nazizeit mit gefälschten Papieren. 1946 emigrierte die Familie in die USA. Sein Roman “Schmidt” wurde von Alexander Payne mit Jack Nickolson in der Hauptrolle verfilmt. Seit 1974 ist der ehemalige Anwalt mit seiner zweiten Frau, der französischen Biografin und Historikerin Anka Muhlstein (78), verheiratet. Für ihre Astolphe-de-Custine-Biografie erhielt sie 1996 den Prix Goncourt.



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