Sven-Eric Bechtolf: "Nichts fürchte ich mehr als Dogmen" | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

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20
Jul

Sven Eric Bechtolf: “Nichts fürchte ich mehr als Dogmen”

Sven Eric Bechtolf, der als Schauspielchef gemeinsam mit Alexander Pereira 2012 nach Salzburg kam, ist zwei Jahre lang – 2015 und 2015 -für das künstlerische Gesamtprogramm verantwortlich. Vor der Eröffnung der Festspiele 2015 ein Gespräch mit dem Vielbeschäftigten über kleine Brötchen, historische Eselsbrücken, Glaubenssätze, Budgetdebatten und Nackenschläge.

Also gut. Ein kurzer Blick auf das Bühnenbild für Mackie Messer – Eine Salzburger Dreigroschenoper in der Felsenreitschule. Aber dann. Danke. Auf Wiedersehen. Wir müssen proben. Dort ist die Tür.

Nein, viel Zeit zu verschwenden hat Sven-Eric Bechtolf nicht, vor allem nicht vor und während der Salzburger Festspiele. Vor zwei Jahren kam er als Schauspielchef an die Salzach. Nach Alexander Pereiras vorzeitigem Wechsel von Salzburgs Intendantensessel auf den der Mailänder Scala im vergangenen Jahr verantwortet er nun das künstlerische Gesamtprogramm. Vollendet in dieser Saison seinen Da-Ponte-Zyklus mit Le nozze di Figaro . Inszeniert gemeinsam mit Julian Crouch Brechts Opus über Bettler, Banden und Korruption. Und als sei dies nicht schon Vollzeitbeschäftigung genug, liest er auch noch verbindende Texte in einer konzertanten Fassung der Dreigroschenoper.

Sie steigern Ihr Arbeitspensum von Jahr zu Jahr. Gehört das zum Sparprogramm?

Sven-Eric Bechtolf: Meine Kinder sind erwachsen. Es wartet daheim selten jemand auf mich, und ich habe keine Hobbys. Man gerät in eine Dynamik und beschleunigt unversehens. Die Karosserie ist dem Baujahr entsprechend schon etwas zerbeult, aber ich glaube und hoffe, dass ich eventuelle Beschädigungen am Fahrwerk erst bemerken werde, wenn es nächsten September vorbei sein wird.

Er sei an Nackenschläge gewöhnt, doch in Salzburg habe er fast seinen Enthusiasmus verloren, klagte Ex-Intendant Jürgen Flimm. Wie geht’s Ihrem Nacken?

Bechtolf: Gut. Ich bin zeit meines Lebens verdroschen worden. Sogar noch mehr als Flimm. Inzwischen pfeife ich ein munteres Liedchen, während ich vermöbelt werde. Irgendwann ist der Kopf wohl ab, aber das merke ich ja nicht mehr.

Voriges Jahr sagten Sie, der Zweijahresintendanz hätten Sie nur aus einem Pflichtgefühl heraus zugestimmt und nicht, Zitat, “weil ich Kür tanzen will”. Ist’s immer noch Pflicht oder doch auch ein bisschen Kür?

Bechtolf: Ja, ich mogele immer mehr eigene Kunststückchen unter den Lauf. Aber recht bescheidene.

Sie wollten dafür sorgen, dass Pereiras Ideen das Licht der Welt erblicken. Wie viel von ihm ist tatsächlich im Programm?

Bechtolf: Viel weniger, als ich damals absehen konnte. Wir machen eigentlich fast alles neu.

Kriegt er Gratiskarten, wenn er kommt?

Bechtolf: Natürlich!!! Ich habe Alexander Pereira sehr gern!

Drei Schauspiel- und drei Opern-Neuinszenierungen, der Rest Wiederaufnahmen und konzertante Aufführungen: Backen Sie, wie es ein Kollege formulierte, lieber kleinere Brötchen als er?

Bechtolf: Unsere Brötchen sind nicht so klein. Vor allem sind sie gehaltvoll und knusprig. Ich glaube, dass sich in den nächsten fünf Jahren eine Leistungsvereinbarung ergeben wird zwischen Politik und den Festspielen und es langfristig eine ähnliche Aufführungsanzahl geben wird wie in diesen zwei Jahren. Es wäre aber schön gewesen, wenn Sie Ihre Frage so gestellt hätten, dass man nicht den Eindruck gewinnen muss, ich sei aus charakterlicher Disposition heraus ein Zwangssparer ohne Anlass. Ich kann, darf und will nur mit dem wirtschaften, was da ist – und das hängt von politischen Entscheidungen ab. Wenn Sie der alten Vorstellungsdichte nachtrauern, wäre es begrüßenswert, wenn Sie zukünftig in dieser Zeitung für bessere Rahmenbedingungen der Festspiele die Trommel rühren.

Trotz einer Subventionserhöhung von zwei Millionen Euro ist das Budget von 64,7 auf 59,6 Millionen Euro gesunken. Vor welcher budgetären Situation standen Sie?

Bechtolf: Vor einer schlechten. Verzeihen Sie, dass ich nicht weiter darauf eingehen mag, aber der Sommer steht vor der Tür, wir geben ein Fest und erwarten Gäste – da soll man nicht mehr von den Kosten reden. Der Tisch ist jedenfalls trotzdem reich gedeckt.

Fehlt Ihnen das Spröde, Widerständige des Young Directors Award, dem der Sponsor abhandengekommen ist?

Bechtolf: Nein, es fehlt mir nicht. Ich würde heute das “Old Directors Project” gründen. Junge Regisseure gibt es doch viele. Aber was ist mit den alten Meistern, die der Jugendwahn des Theaters ausgesondert hat? Sie fehlen schmerzlich, das können Sie mir glauben. Ich finde, das wäre ein Inhalt für eine echte Avantgardemaßnahme.

Sie vollenden heuer mit “Figaro” die Da-Ponte-Trilogie. Gibt es Bezüge zu “Don Giovanni” und “Così fan tutte”?

Bechtolf: Alle drei Opern setzten sich mit Liebe und Sexualität unter sehr verschiedenen Perspektiven auseinander. Così ist die Abrechnung mit der didaktischen Desillusionierung durch die Aufklärung, Don Giovanni die bange Ahnung der sozialen Sprengkraft unserer Triebnatur, und Figaro macht die Bindungs- und Versöhnungskräfte der Sexualität und Liebe in einer utopischen Volte deutlich. Das ist nur meine Lesart. Aber dass es sich um Weltuntersuchungen auf intimstem Gebiet handelt, ist unbestritten.

Mit “Mackie Messer – Eine Salzburger Dreigroschenoper” knallen Sie dem Salzburger Publikum ganz schön harte Kost vor: Gier, Betrug, Korruption – ziemlich aktuelle Themen …

Bechtolf: Ach ja, die Aktualität! Ohne die geht’s ja nicht mehr, ich vergaß. Ich mag mir keine Eselsbrücken in historische Texte bauen. So augenscheinlich sind die Konstanten meist, dass ich mir geradezu naseweis vorkäme, das auch noch triumphierend unter Beweis zu stellen, nach dem Motto: “Schaut mal her, ich hab’s verstanden!” – Abstand sorgt bisweilen für bessere Übersicht.

Aber es berührt, dass in Salzburg gerade über Bettlerbanden diskutiert wird und darüber, Bettler aus der Stadt zu verbannen.

Bechtolf: Brecht hat ganz und gar nicht auf Berührung abgezielt. Im Gegenteil, er forderte: “Glotzt nicht so romantisch!” Mit kühlem Fatalismus erstellt er seine bittere Analyse. Er wollte den sozialdarwinistischen Raubtierkapitalismus an einem Ort zeigen, den der berührungsbereite Bürger sonst nur durch Krokodilstränen verschleiert sieht – den Boden der Gesellschaft. Selbstverständlich legt er dabei nahe, dass es sich bei der herrschenden Klasse ebenso verhält wie bei den Bettlern, Huren und Gangstern. Der Umkehrschluss ist seine Pointe. Was die Bettler in Salzburg angeht: Was ist da eigentlich der größere Skandal, die Armut oder die organisierte Ausbeutung? Ich habe die Antwort noch nicht gefunden.

Wie oft mussten Sie bei der Programmierung nötigenfalls Konzepte und Glaubenssätze über Bord werfen?

Bechtolf: Ich habe keine Glaubenssätze. Im Gegenteil, ich misstraue ihnen zutiefst. Nichts fürchte ich mehr als Dogmen, Überzeugungen und Ideologien. Ich ängstige mich vor den Gerechten, fliehe die Missionare und mag die Konsequenten nicht. Ich persönlich glaube niemandem und am wenigsten mir selbst. Starre Konzeptionen sind groteske Strategien, um der Realität die Stirn zu bieten. Kennen Sie nicht diesen ewig gültigen Kurzdialog: “Wie bringt man Gott zum Lachen?” – “Erzähle ihm von deinen Plänen!” Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nichts bleibt, wie es wird. (Der Standard, 17.7.2015)

Sven-Eric Bechtolf (57) wurde 2012 Schauspielchef der Salzburger Festspiele, die er 2015/16 interimistisch leitet. Der in Darmstadt geborene Schauspieler und Regisseur inszeniert seit dem Jahr 2000 auch Opern, unter anderem in Zürich und an der Wiener Staatsoper.



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