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25
Mai

Cornelius Kolig: Tabubrüche aus dem Paradies

Kopulierende Menschen, Vaginen, Penisse. Vergoldete Scheiße. Kruzifixe, Liebesgeräte, Sexmaschinen, Flugbretter, Tod, Angst, Vergänglichkeit. Das Paradies, jedenfalls jenes von Cornelius Kolig, ist voller Tabubrüche. Von seinem Schlafzimmerfenster aus hat er übrigens den besten Blick auf sein Paradies, in dem Vulgäres den Göttern gleichgestellt ist, der Saustall neben dem Pantheon liegt.

Keine Hierarchien: Das, ja genau das ist das Paradies. Dreißig Jahre, seit 1979, hat er in Vorderberg, seinem Kärntner Geburtsort an der österreichisch-italienischen Grenze, daran gebaut; auf 6000 Quadratmetern gruppierte er Sixtina, Kuhstall, Wandlungstisch, Rauschgarten, linke und rechte Niere um schöne, duft- und schlingpflanzenbewachsene Innenhöfe und einen Rauschgarten. Sein paradiesisches Gesamtkunstwerk hat die Form eines Schädels. Die ins Jenseits transformierte Glückseligkeit, ein Hirngespinst im Hier und Jetzt.

“Alle Religionen haben die Verheißung vom Paradies, um die Menschen über das Problem der Endlichkeit hinwegzutrösten. Auch die Künstler machen nichts anderes, sie wollen über die tatsächliche Lebenszeit hinaus existieren. Man will nicht sterben. Das ist der Antrieb für die Kunst.”

Cornelius Kolig, geboren im September 1942, verheiratet mit einer Medizinerin, Vater einer Radiologin, Maler, Objektkünstler, Fotograf, Videokünstler, Gesamtkunstwerker - und Enkel des Kärntner Malers Anton Kolig.

Sexualität, Liebe, Stoffwechsel

Als er den nach seinem Großvater benannten Saal im Kärntner Landhaus neu gestalten sollte, liefen 1998 Boulevard und Polit-Populisten dagegen Sturm, denunzierten ihn als “Fäkalkünstler” und mutmaßten, er wolle den Saal womöglich mit Kot ausmalen. Als ihm 2006 der Große Kulturpreis des Landes Kärnten durch Landeshauptmann Jörg Haider überreicht werden sollte, nahm Kolig den Preis allerdings mit einer Greifzange entgegen, um am Landeshauptmann nicht einmal anzustreifen.

Auch wenn er nicht als Kärntner Künstler vereinnahmt werden will, habe er sich über Haider und die Rechten und all die psychiatrischen Ferndiagnosen nicht wirklich geärgert, “weil man weiß, dass diese Leute ihren Reflexen eigentlich hilflos ausgeliefert sind. Durch die Beobachtung der anderen und der eigenen Person bin ich bald draufgekommen, dass es nicht viele wichtige Dinge gibt im Leben, die es lohnt, in die Kunst überzuführen. Sexualität, Liebe, Reproduktion, Stoffwechsel, Tod: Das sind die wichtigsten Kriterien des Lebendigen. Ich habe natürlich genauso Schamgefühle und Todesängste wie jemand anderer.”

Am Beginn seiner Karriere war er allerdings noch klassisch malerisch unterwegs. Kolig studierte an der Wiener Akademie der bildenden Künste, zuerst bei Joseph Dobrovsky, später bei Herbert Boeckl, zum Schluss bei Max Weiler. Sein erstes Bild verkaufte er 1958 an einen Lebensmittelgroßhändler aus Hermagor, der das Bild im Gasthaus von Koligs Großeltern entdeckt hatte. Der Name des Sammlers: Georg Essl, Vater von Karl-Heinz Essl, dem Museumsgründer in Klosterneuburg. 200 Schilling bekam er damals für sein von Vincent van Gogh inspiriertes Landschaftsgemälde in Öl: “Das war viel Geld damals”, wundert sich Kolig noch heute über das gute Geschäft. Denn so richtig markttauglich ist seine Kunst nur bedingt: Wer will sich schon einen Haufen Kunst-Scheiße ins Wohnzimmer stellen? Das ist kein wirtschaftlich erfolgreiches Produktionsmodell. Ich würde das ja selber auch nicht kaufen wollen”, sagt Kolig. “Weil man eine ganz natürliche Aversion gegen die ursprüngliche Markierungsfunktion von Kot hat.”

Süße Verführung durch Kunst

1994 besuchte Agnes Essl das erste Mal Koligs Universum, verunsichert und auch ensetzt sei sie damals gewesen, wird sie dem Künstler später gestehen. Und doch. Nun, fünfzehn Jahre später, also die große Kolig-Personale im Essl Museum in Klosterneuburg: Kunst aus dem Paradies. Verstörende Tabubrüche.

“Ich habe euch nichts zu sagen” steht da in rot gestrichenen Aluminiumlettern auf einem riesigen Bild: programmatische Ansage und Sichtschutz zum Museumscafé gleichermaßen: Die nicht unbedingt jugendfreien Installationen sollten, so der Wunsch der Essls, vor Kinderblicken verborgen bleiben. Zum Beispiel Vom Ursprung der Musik. Eine nackte Frau liegt auf einer Aluminiumkonstruktion; vor ihren gespreizten Beinen sitzt ein Mann mit Mundharmonika, sein Ein- und Ausatmen tönt als leise Melodie aus dem Lautsprecher. Blasen, wörtlich genommen. Überhaupt. Das Kreuz mit der Sexualität. Ein Mann und eine Frau turnen, getrennt durch ein riesiges Rosenkreuz, auf einem Doppelstepper. Die zwei sehen einander nicht, wohl aber, mittels Video, die Geschlechtsteile und die sich bewegenden Gesäße des anderen.

Oder, als süße Verlockung, die Installation Bienenweide: Aus Infusionsflaschen fließt Honig über entblößte Geschlechtsteile; die Modelle liegen auf Flugbrettern, die an Gynäkologenstühle erinnern, ihre Oberkörper sind durch grüne Tücher abgedeckt. Es gibt einen Stockstuhl für die Liebe im Paradies. Einen mit Fürzen, Pfeifen, Herzklopfen beschallten Kistensperrholzsarg.

Zimmer frei heißt eine überdachte Doppelurne; würde sie später einmal befüllt, sollte das “Zimmer frei”- durch ein Namensschild ersetzt werden. “Ich glaube, das kauft niemand”, da macht sich Kolig keine Illusionen. Ja, und für seine Familie habe er diesbezüglich auch schon vorgesorgt: “Wir haben eine Gemeinschaftsurne im Paradies, dort sollen alle Familienmitglieder, die sich verbrennen lassen, einmal hineinkommen.”

15. 5. - 11. 10. Essl Museum, Klosterneuburg. Di-So um 10, 12, 14, 16 Uhr. Gratisbusshuttle von 1010 Wien, Albertinaplatz, zum Museum

Erschienen am 13.5. 2009 Standard

 



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