Andrea Clausen: Die Menschendarstellerin | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

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10
Feb

Andrea Clausen: Die Menschendarstellerin

Abendfüllend? Ja, kann schon sein, dass Andrea Clausen an einem Abend die Helen in Simon Stephens’ „Motortown” am Wiener Akademietheater spielt , am nächsten Abend im Burgtheater in Shakespeares „Sommernachtstraum” als Hippolyta und Elfenkönigin Titania über die Bühne fegt und ein paar Abende später - im gleichen Haus und wieder Shakespeare - als König Lears blutrünstige Tochter Goneril brilliert. Tosender Applaus, Verbeugung, erschöpftes Glück. Und dann eilt sie hurtig nach Hause, schleicht ins Kinderzimmer und schaut ihren fünfjährigen Zwillingen Jelena und Marie beim Schlafen zu.

Nein, man kann nicht behaupten, das Leben von Andrea Clausen sei eintönig. Und dann noch diese disparaten und desparaten Figuren, die sie derzeit verkörpert, wie aus dem Nichts gespült und auch so gespielt die eine, betört und betörend liebestoll die andere, machtgierig und sehnsuchtsvoll die dritte: ein beeindruckender Querschnitt durch den über die Jahre erarbeiteten, riesigen Rollenfundus der Künstlerin; die Grafin Orsina aus „Emilia Galotti” zählt zu ihren Lieblingsrollen, ebenso wie die der Inès in „Drei Mal Leben” von Yasmina Reza. Und immer sind es die Grenzgänger, die Gratwanderer, die scheinbaren Verlierer, denen ihr Interesse gilt, es gibt keine spannende Figur ohne Konflikt: im Theater wie im Leben.

Noch nie, sagt Andrea Clausen nachdrücklich, noch nie habe sie übrigens jemanden dargestellt, den sie überhaupt nicht mag; im Gegenteil, zu jeder Figur entwickelt sie eine Art von Zuneigung, ja sogar Liebe: „Denn als Schauspielerin muss man diese Figur ja auch verwalten, ihre Seele verständlich machen und sei sie auch noch so böse.” So böse wie Goneril, deren tiefste Abgründe und Nöte sie mit funkelnder Intensität an die Oberfläche spielt. „Aber wenn Goneril sagt: ‚Da könnte das ganze Gebäude meiner Träume auf mein verhasstes Leben einstürzen’, dann liebe ich sie allein für diese Einsicht.” Andrea Clausen, eine grandiose Menschengestalterin: es sind die Widersprüchlichkeiten der Figuren, ihre Verletztheiten, Schrunden und Schrammen, ihre Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen, die sie interessieren, nach denen sie gräbt und sucht und weitergräbt und freischaufelt und die sie schließlich dem Publikum vor Augen führt. „Wenn ich mich an etwas festgebissen habe und es mir nicht gelingt, mich wieder davon zu lösen, dann plage ich mich, Plagen gehört dazu. Aber grundsätzlich liebe ich die Proben sehr, das Entdecken, auch gemeinsam mit den anderen. Ich hatte viel Glück mit den Regisseuren in letzter Zeit. Mit allen konnte ich viel entdecken.”

Es ist vier Uhr nachmittags, Probenschluss, in der Kantine des Akademietheaters noch eine kurze Nachbesprechung mit Regisseurin Andrea Breth. Ihr fühlt sich Clausen menschlich nahe, mit ihr, am liebsten mit ihr, und auch mit Luc Bondy als Reisebegleiter erkundet sie die weiten Seelentäler ihrer Figuren: „Theater hat was mit Erkennen zu tun. Andrea Breth oder Luc Bondy, das sind unglaubliche Menschengucker. Ich vertraue Andrea Breth zutiefst. Ihre Risikobereitschaft, ihre Besessenheit und ihre Unbestechlichkeit sind unvergleichlich. Sie kann angstfrei zuschauen und lässt einem Raum und Zeit zum Entwickeln. Es gibt Seiten an einem, von denen man glaubt, man müsse sie verstecken. Andrea Breth hat genau diese Seiten an mir verstärkt. Andererseits gibt es viele Regisseure, die sich gar nicht interessieren dafür, mit welchen Menschen sie arbeiten.”

In Bochum, bei ihrer ersten gemeinsamen Arbeit vor zwanzig Jahren, ermunterte Andrea Breth die junge Schauspielerin mit der sehr kurzen Regieanweisung „Du hast Zeit”. Clausen brach bei diesem Satz in Tränen aus: „Es war wie eine Erlösung. Ich musste nicht alles gleich beweisen”, erinnerte sie sich später in einem ihrer raren Interviews an diesen magischen Moment. In der Gewissheit, für bestimmte Frauenrollen bei Breth am besten aufgehoben zu sein, folgte Clausen der Regiemeisterin Anfang der 1990er Jahre ans Wiener Burgtheater, ging dann mit ihr an die Berliner Schaubühne und kehrte schließlich gemeinsam mit Breth nach Wien zurück. Das Feuilleton verehrt sie für ihre hohe Schauspielkunst und Bühnenpräsenz, ihre Stimme zwischen Flüstern und Schrei, Girren und Schluchzen,funkelnd und heißkalt sei sie, beeindruckend, sensibel, verletztlich, souverän, poetisch. Stimmt genau so, nur eins ist Andrea Clausen mit Sicherheit nicht - eine zickige Diva. Stargetue ist ihr fremd, an der Marke Clausen arbeitet sie ausschließlich auf der Bühne, Promi-Dasein liegt ihr nicht.

Sie steht im Telefonbuch und, anders als die meisten ihrer Kolleginnen, macht sie aus ihrem Geburtsdatum kein Geheimnis. Warum sollte sie auch, ihr Alter glaubt ihr sowieso niemand, so schön und jung und zart, wie sie ist. Ihre Zwillinge bekam sie mit 44, ihr größtes Glück, das sie in jedem Augenblick ihres Lebens zu schätzen weiß: „Die Zeit, die ich mit ihnen habe, ist so kostbar. Denn wir haben nun mal defintiv weniger Zeit miteinander, als wenn ich zwanzig wäre.” Eine Konsequenz der späten Mutterschaft sei sicher auch, dass sie in vielen Dingen gelassener, in anderen dafür ganz und gar nicht gelassen reagiere. Am Spielplatz etwa, wenn andere Mütter seelenruhig ihren Kindern beim Raufsteigen und Runterfallen zuschauen, da schämt sie sich fast schon für ihre Ängstlichkeit und dafür, dass sie ihre Mädchen flugs wieder herunterbeordert von dem hohen Klettergerüst. Ihr Erziehungsmodell lautet: massenhaft Liebe, ein geregeltes Leben und klare Grenzen. Die Kinder auf Parties oder ins Theater mitschleppen, damit sie irgendwann in irgendeinem Eck einschlafen, „nee”, sagt sie in schönstem rheinländerisch und schüttelt ihre schönen rotbraunen Haare, „nee! Das will ich wirklich nicht. Ich will das trennen, da bin ich richtig streng!” Lieber hetzt sie sich ab, um ihre Töchter nach den Proben selber vom Kindergarten abzuholen. Und sie sehnt sich nach ihnen, wenn sie bis über beide Ohren in Proben und Vorstellungen steckt: „Das tut mir richtig weh, wenn ich sie dann nur so wenig sehe, höchstens morgens beim Frühstück . Wenn die so traurig sind, das zerreißt mir fast das Herz. Das geht nicht. Nein das geht überhaupt nicht mehr. Das kann man oft schwer verständlich machen. Aber darum will ich auch nicht gleich wieder in die nächsten Proben. Bei aller Liebe zum Spielen: das will ich nicht.” Heißt soviel wie: Höchstens zwei, maximal drei Stücke parallel und die spielfreie Sommerzeit gehört ausschließlich den Kindern, Rückzug aufs Land, Familienidyll, Energie tanken im und vor Glück.

Früher freilich war das anders, da war die Bühne, und nur die Bühne, Mittelpunkt ihres Lebens. Geboren in Oldenburg, aufgewachsen in Düsseldorf, verzog sie sich als Kind gern in den elterlichen Keller, erfand und spielte in ihrem kleinen geheimen Privattheater Geschichten, um ihren Alltag zu verarbeiten. Die Liebe zum Theater kam nicht von ungefähr: Tante Rosemarie Clausen war eine berühmte Theaterfotografin und der Vater zehn Jahre Schauspieler bei Gründgens, ehe er das Metier wechselte und Exportkaufmann wurde: es sei schwer, in diesem Beruf das Gleichgewicht zwischen nötiger Sensiblität und harter Schale zu halten, warnte er die Tochter vorm Theater, doch die ließ sich nicht beirren, begann ihre Schauspielausbildung bei Etienne Decroux in Paris, studierte an der Folkwangschule in Essen, hatte ihr erstes Engagement am Staatstheater in Oldenburg, wurde von Intendant Jürgen Flimm ans Schauspiel Köln geholt und landete schließlich 1986 am Schauspielhaus Bochum. Die Beweggründe, Schrägheiten, Unverständlichkeiten der Figuren für sich und andere zu erspüren und (er)sichtlich zu machen, dieses Verwandeln, das Besitznehmen fremder Gedankengebäude und Gefühlswelten wurde ihr zur Sucht. Nur mehr Sein im und fürs Theater: mondän, grausam, flirrend, erotisch, verloren, hoffnungslos, liebend, wahnsinnig, fröhlich, traurig, gut, böse und alles dazwischen. Sein. Spielen. Proben. Sein. Spielen. Pausenlos spielen. Spielwütig. Süchtig. In Bochum spielte sie neun Stücke gleichzeitig, brannte an beiden Enden lichterloh, bis sie völlig ausgebrannt war und nichts mehr ging außer der schmerzhaften Arbeit an sich selbst und sie sich erst wieder zurechtfinden musste mit sich und in der Welt.

„Schauspielerei ist ein wunderschöner Beruf. Aber er ist auch hart. Allzu liebessüchtig sollte man als Schauspieler jedenfalls nicht sein. „Ein bisschen geliebt werden will ja jeder. Aber man muss einstecken können und immer der Sache dienen. Und man muss etwas durchsetzen können. Sicherlich ist es schön, wenn man auf der Bühne verführen kann. Aber es geht um Tiefe, nicht um Effekte. Menschen, die geliebt werden wollen, riskieren nichts. Doch man muss viel riskieren, auch auf die Gefahr hin, zu scheitern. Man sollte lieber sich selber ein bisschen lieben. Dann hat man mehr Kraft. Die Liebe, die gilt es in einem selbst zu entwickeln”, sagt sie und nimmt einen kleinen Schluck von ihrem Aperol Spritz. Zum ersten Mal seit Wochen muss sie nicht von den Proben direkt zur Vorstellung eilen; kein fliegender Rollenwechsel zwischen Akademie und Burg, statt dessen auf dem Heimweg ein kurzer Zwischenstopp im „Hold”, ihrem kleinen Lieblingslokal mitten im Achten. „Man muss mit sich freundlich sein, das kann ich besser als früher. Ich zwinge mich zu Geleassenheit, heute dann auch mal den Text nicht mehr anzuschauen, sondern mir zu sagen: na, lass mal los. Ja”, wiederholt sie nachdenklich, „loslassen ist das Wichtigste. Wenn man ein geordnetes Privatleben hat, dann ist einem schon sehr geholfen.”

Auf einem Filmfest lernte sie vor neuneinhalb Jahren ihren späteren Mann, den Graphiker und Illustrator Helmut Pokornig kennen, ihren Lebensmenschen: „ein kreativer, phantasievoller und gütiger Mann, ein sehr weiser, erwachsener Mensch, ein liebevoller Vater und humorvoller Partner. Er hat keine Posen, keine Allüren. Bei ihm fühle ich mich wirklich geborgen.” Dass sie berühmter ist als er, ist im Hause Clausen-Pokornig kein Thema, „als Künstler weiß er ja, dass Ruhm sehr zerbrechlich ist.” Er ist das Gegengewicht zur fragilen Gefühlswelt am Theater, Gottseidank kein Schauspieler, wobei: sicherlich habe sie ganz wunderbare Freunde unter ihren Kollegen, großartige Menschen. Aber eben nicht nur. Und nach Hause kommen und immer und immer weiterreden über die Arbeit und womöglich im gleichen Stück spielen? Sie lacht: „Grauenvolle Vorstellung!”

Während der Proben erzählt sie daheim wenig über ihre Figuren und deren verborgene Geheimnisse, auch wenn sie ihre ständigen Begleiter sind. Plötzlich tauchen sie auf, wenn sie am Herd die Suppe umrührt; oder wenn sie nach dem abendlichen Vorlesen neben ihren kleinen Mädchen liegt und ihnen beim Atmen zuhört. Selbst wenn die Stücke, wie es so schön heißt, „abgespielt” sind: Abdrücke, Gedankenspuren der Rollen prägen sie, bleiben für immer in ihr, geben Regieanweisungen fürs tägliche Leben.



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