Essay über Salzburg zur Festspielzeit | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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24
Aug

Salzburg: Atemholen in der Provinz-Weltstadt der Kunst

Die blaue Stunde, zwischen Tag und Nacht flirrende Traumbilder, die Stadt in Mythen versunken, verwoben zu einem Gedicht von Georg Trakl. “In der Stille tun sich eines Engels blaue Mohnaugen auf.” Im Winter klirrt eisblau die Schneeluft, sommers schlabbert die Hitze als bläulicher Dunst über den Türmen und Kuppeln. Durchscheinend Trakls spinstige Farben, Hyazinth und Herbstgold, Purpur, glühendes Schwarz, Nachtgrün, dunkle Träume des Dichters über dem schönen Schein dieser Stadt.

Geliebt, gehasst, besungen und beschimpft, auf romanischen Grundfesten gebaut, großzügig barockisiert, in gotische Spitzen gehüllt, manieristisch übersteigert, mit Sehenswürdigkeiten übersät und von den Stadtbergen Mönchs-, Kapuziner- und Nonnberg malerisch umkesselt, steckt Salzburg voll atemberaubender Schönheiten und aufgemotzter Klischees, voll abgelutschter Stimmungsbilder und faszinierender Details.

Diese Bonmotschachtel für Festspielintrigen, die schon so manchen Intendanten in die Flucht geschlagen haben, ist prall gefüllt mit dunken Geheimnissen und hellen Freuden. Die Gästebücher der Hotels und Restaurants lesen sich wie Auszüge aus internationalen Klatschspalten. “Die Festspiele sind der Umweg, das Bazar der Zweck”, notierte Anton Kuh ins Gästebuch nämlichen Cafés, dort, wo die Häuser entlang der Salzach hinaus in den ebenen Norden fließen.

Längst dehnt sich die Hauptsaison – Festspielzeit! Zeit der hochdekorierten Herren und juwelenbehängten Damen! Zeit der illustren Cocktailpartys! – in alle Jahresrichtungen aus. Schon ist das Adventsingen nicht mehr fern, mit Turmblasen und Krippenausstellungen und mit dem romantischen Christkindlmarkt auf dem Domplatz, bald folgt die Mozartwoche rund um den Geburtstag des Wunderknaben Ende Jänner, fast übergangslos wachsen die Osterfestspiele mit den Pfingstfestspielen zusammen. Das Festspielfieber breitet sich wie ein kreativer Flächenbrand aus, längst sind auch die umliegenden Seen davon erfasst, jeder See hat sein Kulturprogramm. Auch viele Festspielkünstler logieren lieber an Seeufern als in dieser Panorama-City, wo sich kurzbehoste Tages- und geldschwere Kulturtouristen sicher gern aus dem Weg gehen würden.

Zu schön herausgeputzt

Salzburg ist immer ein bisschen zu schön herausgeputzt, ein wenig zu ordentlich, eine überdimensionierte, etwas zu süße Mozartkugel (die echte aus Pistazienmarzipan, hellem und dunklem Nougat und Bitterschokolade wurde angeblich bei der Weltausstellung in Paris mit einer Goldmedaille ausgezeichnet), ein mitunter heißluftig aufgeblasenes Nockerl; eine Provinzstadt mit Weltstadtallüren, wo nachts selbst zur Hochsaison recht früh die Gehsteige hochgeklappt werden. Dann allerdings, im Schatten der duster aufragenden Felswände, entfaltet die Stadt ihre ganze, melancholisch-herbe Prächtigkeit.

Fürsterzbischöfe, pralle Lebenslust, puritanische Keuschheit, romantische, verbotene Affären, architektonische Großmannssucht und baukünstlerische Vollendung – nichts, wovon Salzburg nicht im Übermaße hätte. Salzpurch, wie die Stadt in ersten urkundlichen Erwähnungen hieß, ist hineingekuschelt zwischen Fluss und Berg. Und die Festung Hohensalzburg setzt diesem Schnittpunkt alter Handelswege die Krone auf. Bizarre Felsformationen wachsen mitten ins schöne, historische Herz. Plätze münden in Plätzen, sind Relikte herrschaftlicher Allmachtsfantasien. Reihenweise hatte Fürsterzbischof Wolf Dietrich im 16. Jahrhundert in stadtplanerischer Gigantonomie sechzig Bürgerhäuser niederreißen lassen, zur Verwirklichung seines Traums: seine Residenzstadt in ein kleines Rom des Nordens zu verwandeln. Nicht ganz von der Hand zu weisen, immerhin gehörte Salzburg, als es noch Iuvavum hieß, zum römischen Imperium und war die erste Stadt nördlich der Alpen mit dem Recht zur Selbstverwaltung.

Nur einen halben Quadratkilometer ist die Innenstadt groß, ein halber Quadratkilometer für zehn ausladende Plätze, verbunden durch Durchhäuser, dieser Salzburger Erfindung zur Besucherverwirrung. Und gesäumt von Souvenirständen, Augenfallen für Touristen.

Salzburg speit aus allen steinernen Löchern, aus Pferdemäulern und Frauenmündern. Wasserrauschen liegt über der Stadt der 79 Brunnen, der 36 Kirchen, fünf Klöster und der vier Theater – aus Hecken geschnitten, aus Fels gehauen, aus Stein gebaut und eins für Marionetten -, der Pferdeschwemmen und Zwergleingärten, der Museen, Lust- und Wasserschlösser. Und, natürlich, der Festspiele.

Zur Festspielzeit ähnelt Salzburg einem Druckkochtopf, durch die Fußgängerzonen wabert eine Melange aus Touristenschweiß und Pferdeäpfelduft. Am Schubert-Gedächtnishaus in der Judengasse, wo Franz Schubert 1825 im Hause der Familie Pauernfeind residierte, laufen die meisten Menschen achtlos vorbei. Salzburg ist und bleibt Mozarts Stadt. Rund eine halbe Million Menschen wälzen sich jährlich durch die Zimmerchen im Hause Getreidegasse 9, wo das kleine Wunderkind dereinst herumtollte und auf Zielscheiben schoss.

Sehen und gesehen werden

Im Festspielhaus gastieren Weltstars, Dirigenten, Sänger, Regisseure, Schauspieler: die Besten der Besten. Vor dem Festspielhaus tummeln sich Touristen, alter Adel, neues Geld. Die einen wollen sehen, die anderen gesehen werden. Und die dazwischen würden doch auch gern erkannt werden, wenn sie unerkannt flanieren. Und die Salzburger selbst?

Viele flüchten aufs Land und überlassen ihre Wohnungen für gutes Geld der Festspielklientel. Ein einträgliches Geschäft in einer Stadt, in der selbst handtuchwinzige Kammern, deren Charme sich auf abgeschlagene Fliesen in der Dusche beschränkt, nicht unter hundert Euro zu haben sind. Doch dann trifft man überraschenderweise doch auch auf Einheimische, man muss dafür nur Salzburgs Festspielereien hinter sich lassen.

In der Steingasse etwa, die eng ist wie ein Luftschacht, wo Bäume und Büsche aus den Klofenstern wachsen. Lohnend ist der Aufstieg auf den Nonnberg. Das Nonnenkloster der Benediktinerinnen ist das weltweit älteste christliche Frauenkloster. Wenn zur Vesperzeit die Schwestern meditieren, ihre Psalmen und Lieder singen und summen, dann ist all die Festspieleitelkeit wahrlich weit, weit weg.

Zum Innehalten schön ist auch der idyllische, von schmalen, hohen Häusern umkränzte Sebastiansfriedhof in der steinseitigen Linzergasse. Da liegt der “Gastgeber” Johann Pichler begraben: Zwei Hände ragen links und rechts aus der Gedächtnistafel, mit abgebrochenen Daumen und der Patina von 175 Jahren unter den Nägeln. Auch das Wolf-Dietrich-Mausoleum befindet sich hier. Schließlich hatte der Fürsterzbischof den Friedhof 1595 nach dem Vorbild eines italienischen Campo Santo errichten lassen. Unter Arkaden erinnert eine Gedächtnisstätte an “Philippus Theophrastus Paracelsus, der durch die Alchemie einen so großen Ruhm in der Welt erworben hat … der berühmte Doktor der Medizin, welcher auch die schrecklichsten Wunden, Lepra, Podagra und Wassersucht und andere unheilbar scheinende Krankheiten durch seine wunderbare Kunst heilte. Und es brachte ihm auch Ehre ein, daß er sein Hab und Gut unter den Armen verteilen ließ. Im Jahr 1541 am 24. 9., vertauschte er das Leben mit dem Tod.”

Salzburg hat übrigens schon eine Art, seine Lieben zu würdigen. Clemens Holzmeister, nach dessen Plänen das neue Festspielhaus erbaut wurde, wird mit einer Stiege und galligem Humor – “mehr Holz als Meister” – geehrt, Herbert von Karajan immerhin mit einem ganzen Platz.

Die Humboldtterrasse auf dem Mönchsberg, so wird gern erzählt, sei früher die Selbstmordterrasse gewesen. Praktischerweise seien die Lebensmüden geradewegs ins Bürgerspital gestürzt. Heute ist hier das Puppenmuseum untergebracht.

“Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht im entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-kathol ischen Todesboden zugrunde”, schrieb Thomas Bernhard in Die Ursache – eine Andeutung.

Hunderte Male am Tag düst der Mönchsberglift in 30 Sekunden hinauf zum Museum der Moderne und zum Restaurant 32. Auf dessen Terrasse serviert man besonders luxuriöse Fernsicht zum Lunch. Purer Luxus ist auch die Aussicht von der Festung Hohensalzburg. Und wer weiß, wo, kann in der Ferne das Henkerhäuschen - nicht zu verwechseln mit dem Krauthapel-Häusl - ausmachen. Dort lebte, als man in Salzburg Delinquenten, Mördern und missliebigen Mitmenschen noch den Kopf abzuschlagen oder in die Schlinge zu stecken pflegte, der Henker.

Immer wieder Salzburg

Von hoch oben nach ganz unten, von der Festung in ein betörendes Höhlensystem, die in die Festungsfelsen gehauenen Katakomben des Petersfriedhofs. Freigelegt wurden die Katakomben durch einen Bergsturz. Hohe Stufen führen in die erste Katakombe, im 4. Jahrhundert wurden hier heimlich Messen gefeiert. Mauernischen dienten als Sitzgelegenheiten. Für Ungetaufte gab es kleine lätzchen vor der Kapelle.

“Ich bin immer traurig, wenn ich glücklich bin! Ist das nicht merkwürdig!”, schrieb Trakl in einem Brief an seine älteste Schwester Mizzi. Salzburg-Besucher kennen diese Ambivalenz. Um an den Anfang zu kommen, muss man bis ans Ende gehen. Um den Dichter zu verstehen, sagte Goethe, müsse man dessen Land bereisen. Um Trakls Farben zu verstehen, das Blau und Violett, Hyazinth und Herbstgold, muss man also wohl immer wieder nach Salzburg reisen und den Mönchsberg besteigen, “wo im Schatten herbstlicher Ulmen der verfallene Pfad hinabsinkt”. (Der Standard, 14.8.2015)



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