Peter Turrini: "Meine ganze Literatur ist eine Art Zurückschreierei" | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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15
Apr

Peter Turrini: “Meine ganze Literatur ist eine Art Zurückschreierei”

Mit drei Themenzyklen – Österreichische Klassiker des 20. Jahrhunderts, Österreich aktuell und Klassische Komödie – setzt das Burgtheater 2015/16 programmatische Schwerpunkte. Im Zyklus Österreich aktuell findet sich unter anderem auch Peter Turrinis Stück Bei Einbruch der Dunkelheit gespielt. Im Volkstheater steht seine Rozznjogd auf dem Programm.

Das Gespräch über Leben und Tod fand anlässlich seines 70. Geburtstags – und der Premiere seines Stückes C’est la vie im Herbst 2014 im Theater in der Josefstadt statt.Schurian: C’est la vie ist eine poetische Ab- und Aufrechnung, die Revue Ihres Lebens - das übrigens am schönsten sei, wenn es vorüber ist, heißt es gleich zu Beginn. Pure Lebensfreude kann man Ihnen eher nicht unterstellen, oder?

Peter Turrini: Im Begleittext zu C’est la vie hat meine Liebste, die Silke Hassler, geschrieben: “Verfallen Sie nicht in den Irrtum, dem Dichter Peter Turrini alles über den Dichter Peter Turrini zu glauben.” Ich bitte Sie, der Silke Hassler zu glauben. Natürlich gibt es einen sehr hohen Anteil von Vorfindungen aus meinem eigenen Leben, aber es gibt ebenso viele Erfindungen über mein Leben. Am Schluss des Stückes sterbe ich ja, und das ist hoffentlich bis auf weiteres die größte Erfindung über mich.

Schurian: Woody Allen hat gesagt, er habe keine Angst vorm Tod, er möchte nur nicht dabei sein, wenn’s passiert.

Turrini: Ich schließe mich dem Woody Allen an, und ich denke, die Mehrheit der Weltbevölkerung ebenso. Ich fürchte nur, dass wir nichts ausrichten werden, beim eigenen Tod besteht Anwesenheitspflicht.

Schurian: Sie schreiben über die finstersten Stunden, Ihre Depressionen, die Todessehnsüchte nach schwerer Krankheit. Wie sehen Sie die Diskussionen über Sterbehilfe?

Turrini: Ich bin dafür, ohne Einschränkungen.

Schurian: Galgenhumor? Ironie? Lebenswut? Aussichtslosigkeit? Hoffnungsschimmer? Traurigkeit? Was treibt Sie an beim Schreiben?

Turrini: Im Wesentlichen die Wut und das dringende Bedürfnis, den Wahnsinnigkeiten des Lebens mit poetischen Mitteln zu antworten. Meine ganze Literatur ist eine Art Zurückschreierei, sonst würde ich ersticken. Aber von hermetischer Aussichtslosigkeit sind meine Stücke keineswegs. Immer wieder gibt es Momente, in denen die Menschen im Leben etwas gewinnen können. Ich bin kein Unterganghofer.

Schurian: Sind Sie ein guter Mensch? In einem Gedicht schreiben Sie, Sie wollten einer sein.

Turrini: Ich beschreibe darin, wie ich mit meinem Gutsein versuche, andere zu erpressen. Es handelt sich bei diesem Satz um heftigste Selbstironie.

Schurian: Dennoch: Was macht einen guten Menschen aus?

Turrini: Mangelnde Selbsterkenntnis.

Schurian: Darf man Ihnen glauben, dass Sie Priester werden wollten? Und auch Frauenmörder?

Turrini: Priester ja, mit vierzehn. Dann ist mir etwas anderes dazwischengekommen, die Sehnsucht nach den Mädchen, und da habe ich von diesem Berufswunsch wieder Abstand genommen.

Schurian:: Sie waren Schreibmaschinenvertreter - wie Alexander Pereira. Er sagt, er habe durch diesen Job gelernt, immer wieder aufzustehen und wenn ihm eine Tür zugeschlagen wurde, an der nächsten zu klingeln. Was hat Sie der Vertreterjob gelehrt?

Turrini: Auch mir wurde die Türe vor der Nase zugeworfen, aber nur vier, fünf Mal. Dann habe ich mich ins Kaffeehaus gesetzt und sogenannte Kundengespräche in meinen Berichten erfunden. Dramatisch habe ich geschildert, wie sehr ich mit dem Kunden ringe. Ich wurde sogar befördert und habe daher gelernt, dass man sich im Leben etwas ausdenken muss, um zu überleben.

Schurian: Die Kindheit ist ein schreckliches Reich, schreiben Sie. Gleichzeitig hatten Sie ein sehr sanftes Verhältnis zu Ihren Eltern - jedenfalls scheint es so bei der Lektüre Ihrer Gedichte.

Turrini: In der Pubertät sind sie mir ziemlich auf die Nerven gegangen mit ihrer Schinderei und Anpassung. Später habe ich verstanden, dass es für sie die einzige Möglichkeit des Durchkommens war, vor allem ökonomisch. Bei uns herrschten ja ärmliche Verhältnisse, mit vierzehn hat mich das Ehepaar Lampersberg in ihr schönes und großes Haus am Dorfhügel geholt. Ich bin da oben, wo alle Zeit hatten und über Literatur redeten, geblieben, habe mein eigenes Elternhaus verraten.

Schurian: Der italienische Vater blieb im Kärntner Dorf Außenseiter: Haben Sie sich für ihn geniert oder sich von jeher mit ihm solidarisiert?

Turrini: Weder noch, ich habe mich immer nach ihm gesehnt. Als er merkte, dass er in diesem Dorf ein Fremder ist, auch weil er die Sprache nicht wirklich konnte, hat er sich immer mehr zurückgezogen, in die Werkstatt eingesperrt. Ich bin auf der Werkstatttreppe gesessen und habe mir ausgedacht, was er mit mir reden würde, wenn er Zeit hätte.

Schurian: Sie beschreiben Ihren ersten Besuch mit der Schule im Stadttheater Klagenfurt: Es sei schrecklich gewesen, Sie hätten das bestehende Theater frühzeitig zu verabscheuen gelernt. Was war so fürchterlich?

Turrini: Es war in den 1950er-Jahren, das Theater hatte nichts mit dem Leben zu tun und schon gar nichts mit den Verbrechen, die gerade passiert waren. Jeder konnte seinen Abonnentenschlaf ungestört durchziehen.

Schurian: Damals war’s das Gegenteil von Regietheater - und das verabscheuen Sie auch. Welche Form von Theater mögen Sie? Ihres?

Turrini: Das ist doch Quatsch. Mein Theater gibt es gar nicht. Ich schreibe ein Stück, und dann kommen der Regisseur und die Schauspieler und der Bühnenbildner und die Maskenbildnerin, und wir argumentieren und streiten so lange miteinander, bis eine gemeinsame Aufführung entsteht. Theater ist eine gemeinschaftliche Kunst. Aber wenn in diesem Miteinander die Regie das absolute Primat übernimmt, wenn sie mit meinem Beitrag, dem Wort, macht, was sie will, alles umschreibt oder verändert, dann wehre ich mich. Es ist eine Frage der Selbstachtung.

Schurian: Wir haben zu Beginn der Burgtheaterkrise ein Interview gemacht. Nun sind Silvia Stantejsky und Matthias Hartmann gefeuert, Georg Springer hat sich in die Pension verabschiedet .. .

Turrini: … diese Debatte von den geldverschwenderischen Theatern halte ich nicht mehr aus. Jeder Euro, der für die Kunst ausgegeben wird, kommt mehr als doppelt wieder herein. Das Theater in der Josefstadt steht seit 226 Jahren. Kann man nachhaltiger investieren? Und das Gemüt wird auch noch beschenkt.

Schurian: Wie lautet Ihr Befund über die heutige Gesellschaft?

Turrini: Um darauf möglichst kurz zu antworten, müssten Sie mir mehrere Ausgaben des STANDARD zur Verfügung stellen. Also antworte ich noch kürzer: Alles unterliegt den Gesetzen der Ökonomie. Sie ist ein Fleischwolf, durch die der Mensch gedreht wird. Die Leute, die ohnehin schon viel Geld haben, leisten sich die größten Finanzverbrechen. Diejenigen, die kein Geld haben, haben gar keine Gelegenheit dazu.

Schurian: Schreiben Sie an einem neuen Stück?

Turrini: Ich schreibe gemeinsam mit Silke Hassler ein Stück: “Die Spekulantenkomödie”. Darin geht es um schauerliche Finanzverbrechen. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 16.9.2014)



Peter Turrini (70 ) zählt zu den meistgespielten deutschsprachigen Dramatikern. Am 25. 9., dem Vortag seines Geburtstags, liest er in der Josefstadt Texte H. C. Artmanns, der Turrinis fulminanten Erstling “Rozznjogd” 1971 ans Theater brachte.



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