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30
Nov

Nationalsozialismus: Liebe unter Verdacht

In seiner Familiensaga Die blaue Brosche schreibt Max Kübeck über seinen Vater, der wegen seiner Homosexualität in Gestapo-Haft war. Vor allem aber bricht Kübeck mit der aristokratischen Familientradition, zu schweigen, wenn das Reden schwerfällt.

 Artikelbild Foto: Max Kübeck

Nein, sie habe ja nichts gegen Homosexuelle: “Aber für mich ist das die größte Behinderung, die ein Mensch haben kann!” Ähnliche Sätze wie diesen bekam Max Kübeck in letzter Zeit wieder öfter zu hören. Auch seine 97-jährige Mutter wurde nach dem Erscheinen seiner Familienchronik angerufen, es sei genug mit den schwulen Geschichten. Und wozu überhaupt in der Vergangenheit graben?

Lieben und Lügen auf Schlössern, dunkle Geheimnisse in Landhäusern und Stadtpalais, Hinauf- und Hinunterheiraten zwischen Kleinadel und Hocharistokratie, eine blaue Brosche, die angeblich ein Geschenk der Kaiserin war, in Wahrheit aber ein Erbstück einer jüdischen Urgroßmutter mit familiären Beziehungen zu den Rothschilds: Das ist der Stoff, aus dem Rosamunde Pilcher ihre Herz-Schmerz-Romane schneidert. Es ist die Welt des schönen Scheins, in der Maximilian Maria Johannes Freiherr Kübeck von Kübau aufgewachsen ist. Idyllisch - wenn man sich an familiäre Traditionen und Tabus hält.

Der Künstler und Restaurator Max Kübeck tat genau das nie. Von Graz zog er in den 1960er-Jahren nach Wien, fand statt der feinen eine bessere Gesellschaft, die akzeptierte, wie er lebte und liebte. Er engagierte sich im Buddy-Verein, betreute HIV-Kranke, als Aids noch baldigen Tod bedeutete. Vergangenheit, um die Gegenwart zu begreifen: Der Restaurator alter Gemälde ist ein Wahrheitssuchender - auch wenn diese Wahrheit wehtut.

Mit schonungsloser, fast quälender Detailversessenheit, anhand von Briefen, Dokumenten und Fotos entknotete er verwandtschaftliche und erotische Verästelungen seiner Familie - vor allem die seines Vaters. Und er schrieb eine Familiensaga über Schweigen und Verdrängen, über Ängste und Sehnsüchte. Die handelnden Personen versah er mit erfundenen Vornamen. Der Rest ist bittere Wahrheit.

Max Kübecks Vater geriet während der Nazizeit 1939/40 in Gestapo-Haft - jedoch nicht, wie Kübecks Mutter ihre Kinder glauben machen wollte, wegen einer jüdischen Großmutter, sondern wegen einer anonymen Anzeige, die den Vater als homosexuell denunzierte. Gemeinsam mit siebzig anderen Homosexuellen wurde der Vater verurteilt und eingesperrt. “Unter Druck brachte man sie dazu, auszupacken, Namen zu nennen. Jeder Ausdruck von Zärtlichkeit hatte jetzt den Anschein von Perversion und Lasterhaftigkeit. Jeder Kuss und jede intime Berührung nährten den Verdacht von Missbrauch, Vergewaltigung und Verführung.”

Keine liebevolle Berührung

Erst viel später sollte Max verstehen, warum es keinen körperlichen Kontakt mit dem Vater gab: “Vater hatte uns seit unserer frühen Kindheit nicht mehr in die Arme genommen. Es gab keine liebevolle Berührung, geschweige denn Zärtlichkeit. Wie hätten wir wissen sollen, dass sein Verhältnis zu erwachsen werdenden Jünglingen belastet war?”

Schwer auszuhalten sei auch der Gedanke, der Vater sei nur deshalb dem KZ entkommen, weil ein Nazi-Onkel seiner späteren Ehefrau für ihn interveniert haben könnte. Sie zu heiraten war für den jungen aristokratischen Goldschmied Stefan Maria die Chance, einer Zwangskastrierung zu entgehen. “Eine Frau”, zitiert Kübeck aus dem Brief seiner Tante an seinen Vater, sei “ein bewährtes Mittel zu Heilung. Ich habe für Dich immer an Irmi als Deine Frau gedacht. Aber sie ist vielleicht zu wenig warm, spontan und selbstlos, um dich umzukrempeln.”

Großer Damenflor

Die starke, unbeirrbare und schöne Claire wurde schließlich seine Ehefrau - und Mutter von sechs gemeinsamen Kindern. “Ich glaube, dass meine Eltern einander wirklich geliebt haben - soweit ein schwuler Mann eine Frau lieben kann. Sie musste auch nie Angst vor anderen Frauen haben; wie alle Schwulen hatte auch mein Vater immer einen großen Damenflor um sich. Das hat meiner Mutter nichts ausgemacht. Nur bei einem jungen Mann ist sie explodiert.” Frei von Pathos, mit eleganter Ironie macht sich der Sohn Gedanken über Engstirnigkeit, Intoleranz, Tatsachenumdeutungen; über Sehnsüchte des Vaters, Schwulsein im Dritten Reich, über das richtige Leben im falschen.

“Ich hatte selbst Angst vor der Veröffentlichung, vor allem wegen meiner Mutter”, sagt Kübeck. “Aber sie ist jetzt 97. Wie lange hätte ich warten sollen?” Und doch sei er für diese unmögliche Geschichte in einer unmenschlichen Zeit dankbar: “Sonst wäre ich ja nicht auf der Welt.”

Max Kübeck, "Die blaue Brosche. Geheimnis einer Familie". Mit einem Nachwort von Ulrich Weinzierl. 186 Seiten, Czernin-Verlag



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