04
Sep
Kurt Kocherscheidt: Einer von der Gottsucherbande
Eigentümliche Knödel und Knäuel und Löcher. Netze. Gitter. Erdige, sumpfige Farben, manchmal, wie eine vage Verheißung, durchschimmernd ein überraschend heiteres Orange, ein sattes Grün. Erinnerung an ein Gespräch mit Kurt Kocherscheidt anlässlich seiner Documenta-Teilnahme 1992, dem Jahr seines frühen Todes: “Man sollte nicht über eine Assoziation einsteigen können in ein Bild, sondern über die Ratlosigkeit. Kunst muss die Grenze der Erklärbarkeit überschreiten. Ich bin immer misstrauisch, wenn es klare Fragen und Antworten gibt. Das ist unzulässig, weil man keine so klaren Fragen formulieren kann - wie klar sie auch immer scheinen mögen - und daher auch keine so klaren Antworten finden kann. Es geht immer um die Neuformulierung der Frage und der Antwort, die nichts mehr mit der Frage zu tun hat.”
Kurator Veit Loers hat, gemeinsam mit Elfie Semotan, der Witwe des Künstlers, Kocherscheidts Werk für die Ausstellung im Essl-Museum chronologisch, ja vielleicht didaktisch, gehängt und so Zusammenhänge einzelner Werkphasen herausgearbeitet. 15 der ausgestellten 66 Bilder stammen aus der Sammlung Karl-Heinz Essls, ihm ist die (Wieder-)Entdeckung eines großen Malers zu danken, dessen Kunst in spezifischer Weise unmodisch war und heute so modern ist. Unübersehbar haben einige der aktuellen (österreichischen) Malstars Kocherscheidts ganz bestimmte Pinselführung, seine so speziellen Farben und Kompositionen zum Vorbild genommen.
Kocherscheidts Bilderwelt ist bevölkert von amorphen Körpern, von Kegeln und Kapseln, von Köpfen, runden Augen und Mündern, von seltsamen kultisch anmutenden Gegenständen, Spielfiguren, Tieren, Fabelwesen, Beeren, Masken, Pflanzen. Mitunter fliegen Trümmer und Farbsplitter über die Leinwand, ja über deren Ränder hinaus: “Die Perfektion der Technik verführt zu einer feinen Form der Lüge, begünstigt eine Flucht an die Oberfläche. Ein Lob dem groben Schnitt, dem brechenden Rand der Bildentgleisung. Es geht darum, die Vorstellung, die man vom fertigen Bild bereits in sich trägt, zu zerstören.”
Nicht ausgestellt sind bei Essl knallbunte Bilder aus Kocherscheidts erstem Malzyklus, den er als Mitglied der Künstlergruppe Wirklichkeiten gemeinsam mit Zeppl-Sperl, Herzig, Pongratz und Martha Jungwirth 1968 in der Wiener Secession ausstellte. Ein Jahr später ging Kocherscheidt auf Reisen, London zuerst, wo er seinen Namen auf ein knappes Anfangs-”K” wie “Kappa” verkürzte. Dann Tropen. Südamerika. Italien. Georgien. Balkan.
Todesahnungen
Kocherscheidt zeichnete viel, begann nach längerer Pause auch wieder zu malen, in den für ihn typischen dunklen Farben. Beließ manches ohne Titel. Oder benannte die Werke nach dem Entstehungs- und Inspirationsort - etwa Schwarzes Meer, Aus Kolchis oder Grieselsteiner Besinnlichkeit, oder gab den Bildern Fantasienamen wie Große Weihe (1980), dessen Formensprache übrigens an die Ungeheuer-Bilder seiner Kärntner Malerkollegin Maria Lassnig erinnert. Zyklenüberspannend die beklemmend-schöne Auseinandersetzung mit der Endlichkeit - Stehende Stunde; Stundenablauf - und, todesahnend, dem Sterben: Der Frosch als Tod etwa malte er 1980, Memento Mori 1982. Ein Jahr später erlitt er seinen ersten Herzinfarkt und malte als radikale Äußerung zu sich und der Malerei Totenkopf II / Gekreuzte Knochen II.
Museumsleute reagierten nur zögerlich auf die Kunst des Einzelgängers, vermutlich war der Kampf gegen Zeitgeist- und Kunstmodendiktate zermürbend, frustrierend, kräfteraubend. Andererseits wurde er schon früh von Franz A. Morat entdeckt. Der Industriellensohn aus Freiburg im Breisgau und, wie jeder Sammler, ausgestattet mit einem gerüttelt Maß an Kunst-(Wahn-)Sinn, wurde Freund, Mäzen und treuer Förderer. Mehr als dreihundert Werke des österreichischen Künstlers sammelte Morat vorerst als Privatmann, später als Vorstandsvorsitzender der Stiftung “Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft”, und ließ für die Sammlung eine Lagerhalle zu einer Kocherscheidt-Kunsthalle adaptieren. Einige wichtige Werke hat er auch an das Essl-Museum ausgeliehen.
“Es gibt”, sagte Kocherscheidt damals im Interview vor der Documenta, “verschiedene Methoden, Kunst zu betreiben. Um mit Bazon Brock, mit dem ich sonst nicht immer übereinstimme, zu sprechen: Es gibt die Gottsucherbande und die Unterhaltungskünstler. Von allen aber muss man verlangen, dass sie über die eigene Befindlichkeit hinausgehen.” Ein kleines Lächeln. “Ich glaube, dass ich zur Gottsucherbande gehöre.” (DER STANDARD, 4.9.2013)